Krieg um den Mond (German Edition)
weil sie bei jedem gewürdigt wurde, sollte es auch bei Anne so sein.
Sie hatte Dr. Bardouin bekniet den Empfang abzusagen, aber er war hart geblieben. „Sie haben schwer dafür gearbeitet und sie haben eine große Leistung erbracht. Das ist eine Feier wert.“
„Aber ich habe keine Zeit“, protestierte Anne.
„Die sollten Sie sich nehmen. Sie haben Ihr Gehirn ausgequetscht und jetzt ist es leer. Egal, wie viel Sie weiter quetschen, es wird nicht mehr herauskommen. Im Übrigen haben Sie keine Fehler gemacht. Bei manchen Aufgaben gibt es eben keine Lösungen. Das gehört zu wissenschaftlicher Arbeit dazu, und das wissen Sie. Damit müssen wir leben, aber es schmälert nicht Ihre Leistung.“
Anne fand es nett, dass Dr. Bardouin sie trösten wollte, aber sie fühlte sich trotzdem verantwortlich für den bisherigen Misserfolg der Suche.
Jetzt war der Termin da. Widerwillig packte Anne ihre Schminkutensilien und ging zum Waschraum. Trotz ihrer Routine, die sie inzwischen gewonnen hatte, dauerte es eine halbe Stunde, bis sie die Anzeichen ihrer Erschöpfung so weit getarnt hatte, dass sie sich vor Menschen traute.
Von der kurzen Rede, die Dr. Bardouin hielt, bekam Anne nichts mit. Die Worte blieben in der Watte stecken, die ihren Schädel ausfüllte. Der Applaus schreckte sie aus ihren Gedanken auf, die immer noch um das ungelöste Problem auf dem Mond kreisten. Wie einprogrammiert ging Anne nach vorne, bedankte sich für die Unterstützung von Dr. Bardouin und die Zusammenarbeit mit ihrem Team und erhob ihr Glas.
Ihre Kollegen prosteten ihr zu. Zum ersten Mal registrierte Anne, wer überhaupt da war. Hinten, neben der Tür, war das nicht Olaf? Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie setzte sich in Bewegung, um sich einen Weg durch die Kollegen zu bahnen. Für einen kurzen Moment bildete sich eine schmale Gasse. Anne stutzte.
Wer ist das neben Olaf? Das Gesicht kenne ich doch. Sina!
Annes Lächeln gefror.
Was will die hier?
Ein gelber Ball drängte sich vor Annes Gesicht, die Schaumstoffhülle eines Mikrofons. Hinter der Frau, die den Ball vor ihren Mund steuerte, drängte sich ein Mann mit einer Kamera auf der Schulter in die Gasse.
„Wir gratulieren Ihnen ganz herzlich. Wie fühlen Sie sich jetzt, als Frau Doktor Winkler?“
Wie fühlen Sie sich? Die Frage explodierte in Annes Gehirn.
„Wie ich mich fühle?“, wiederholte Anne tonlos.
Die Gasse schloss sich und Olaf verschwand aus ihrem Blickfeld.
„Sie wollen wissen, wie ich mich fühle?“, wiederholte Anne zum zweiten Mal. Ihr fiel nichts ein.
„Ja. Wie geht es Ihnen, wo Sie jetzt quasi befördert worden sind?“, versuchte die Reporterin Anne zu helfen.
„Wie es mir geht? - Scheiße! Ganz einfach nur: Scheiße!“
Die Reporterin sah Anne entgeistert an. Auf diese Antwort war sie nicht vorbereitet. Der gelbe Ball sank einige Zentimeter herunter.
„Kommen Sie mit!“, kommandierte Anne barscher als beabsichtigt. „Ich will Ihnen etwas zeigen.“
Anne ging mit schnellen Schritten durch die Traube ihrer Kollegen, die sich um sie gebildet hatte. Die wichen überrascht zur Seite, machten der Reporterin und ihrem Kameramann Platz und folgten dann den beiden. Anne ging zu dem Raum mit der Mondlandschaft.
„Sehen Sie das?“
Anne zeigte auf die Fotos, die über den gesamten Boden verteilt waren. Die Kamera schwenkte mit, obwohl dieses Bild hinreichend bekannt war.
„Das ist Wissenschaft“, erklärte Anne.
„Und sehen Sie das?“ Sie zeigte auf die gezackte, rote Linie, die den Kurs des Rover darstellte und irgendwie kein Ziel zu kennen schien.
„Das ist auch Wissenschaft! Wir suchen uns die Seele aus dem Leib. Wir suchen seit Wochen ohne das geringste Ergebnis. Wir wissen, wie wichtig das alles ist, und sind verzweifelt, dass wir nicht weiterkommen. - Und deshalb geht es mir beschissen.“
Die Reporterin spürte, dass jetzt nicht der Zeitpunkt war, um jemanden bloß zu stellen. Nachdenklich ging sie zwischen den fixierten Fotos herum. Dann kam sie zu dem Teil, den Anne aus den Ausdrucken der Smart-Sonde zusammengeklebt hatte. „Die sehen ganz anders aus. Als ob man über den Mond fliegen würde. Man sieht alles von oben.“
Anne starrte die Reporterin an. „Das ist es! Das könnte die Lösung sein.“
Ohne auf jemanden zu achten, stürmte Anne in den Flur. „Dr. Bardouin!“, rief sie. „Sie müssen mir helfen.“
Der trat gerade aus dem Versammlungsraum, denn er war der Gruppe nicht gefolgt. „Was ist los? Warum
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