Krieg um den Mond (German Edition)
nicht wenige in der Bewertung nach oben geschummelt haben.“
„Jeder Institutsleiter kennt das System, nach dem bei Ausschreibungen gearbeitet wird.“ Dr. Bardouin schmunzelte. „Darf ich raten? Man hat sie angerufen?“
Olaf nickte.
„Und Druck gemacht?“
Olaf nickte wieder.
„Und bei den Referenzen übertrieben, und ... und. Sie werden feststellen, dass viele Leiter härter für ihr Institut kämpfen als mancher Soldat für sein Land. Die friedliche Wissenschaft gibt es nur vor den Kulissen. Hinter den Kulissen werden die Messer gewetzt und es wird gekämpft wie auf einem mittelalterlichen Schlachtfeld.“
„Da wünscht man sich die Genfer Konvention, um im Bild zu bleiben.“
„Das können Sie vergessen. Es gibt immer welche, denen jedes Mittel recht ist.“
„Deshalb bin ich hier. Mit den Ausschreibungen kommen wir klar. Das Problem ist der politische Druck. Es gibt Länder, die meinen, ihren Instituten würde aus Proporz-Gründen ein Anteil zustehen. Und das kann ich nicht entscheiden.“
„Das ist auch Europa“, seufzte Dr. Bardouin. „Manchmal muss die Wissenschaft hinter dem Frieden zurückstehen, den man mit solchen Kompromissen erkauft.“ Er nahm sich einige Minuten zum Nachdenken, bevor er eine Entscheidung traf. „In diesem Fall brauchen wir das optimale wissenschaftliche Ergebnis - um des Friedens willen. Also: Entscheiden Sie rein nach wissenschaftlichen Kriterien. Alles andere leiten Sie an mich weiter.“
Olaf fuhr zufrieden nach Hause. Er hatte gehofft, dass Dr. Bardouin so entscheiden würde. Es war klar, dass dieses Vorgehen eine Menge Schwierigkeiten nach sich zog und er war dankbar, dass Dr. Bardouin so viel Rückgrat bewies.
Anne kämpfte derweil einen anderen Kampf. Von Olafs Anwesenheit bei der ESA wusste sie nichts. Anne hatte sich in ihr Büro verkrochen und prüfte zum zehnten Mal ihre Formeln. Der Rover war auf dem von ihr berechneten Kurs unterwegs, aber er fand nichts. Das Gelände wurde schwieriger und der Rover musste immer längere Umwege fahren. Die euphorische Anfangsstimmung nahm kontinuierlich ab und machte zunehmender Besorgnis Platz.
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50. Konvoi
Obwohl die Straßenverhältnisse in Europa wesentlich besser waren als auf dem Mond, kam der Konvoi, der die Schraube von einem Untersuchungsort zum nächsten begleitete kaum schneller voran als der Mond-Rover. Jeder Ortswechsel entpuppte sich als größerer logistischer Akt.
Die Behälter mit dem Material vom Mond waren zusammen nicht größer als ein Umzugskarton. Trotzdem musste man den größten Geldtransporter verwenden, der in Europa aufzutreiben war - damit es darin genügend Platz für die chinesischen und amerikanischen Sicherheitskräfte gab, die den strengsten Befehl hatten, die Behälter auf keinen Fall aus den Augen zu lassen. Zusätzlich fuhren vor und hinter dem Transporter jeweils fünf gepanzerte Fahrzeuge mit weiteren Sicherheitskräften. Es folgten zwei Chrysler Voyager mit amerikanischen Wissenschaftlern und zwei Autos der Marke „Brilliance“, die man extra für die chinesischen Wissenschaftler aus China hatte einfliegen lassen. Weitere Versorgungsfahrzeuge, Übertragungswagen von Fernsehgesellschaften, Reporter auf Motorrädern und eine wachsende Anzahl von Fans machten es schier unmöglich, den offiziellen Teil des Konvois vom inoffiziellen Teil zu unterscheiden. Je größer der Konvoi wurde, um so mehr Schaulustige zog es an die Straßen. Das hatte wiederum zur Folge, dass ein immer größeres Polizeiaufgebot dafür sorgen musste, die Straßen frei zu halten. Ein kreativer Kommentator von Associated Press erfand in Anlehnung an die Tour de France den Begriff „Tour de Science“. Da zeitweise auch Hubschrauber den Tross von oben filmten, fehlten tatsächlich nur die Fahrräder.
Vorschläge, alle Untersuchungen an einem Ort zu machen, hatte man schnell verworfen. Es war unmöglich, die zur Untersuchung benötigten empfindlichen und zum Teil sehr großen Apparaturen ohne Schaden zu transportieren. Wollte man Röntgenstrahlen haben, die tiefer als 0,1 mm in das Material eindringen konnten, musste man zwangsläufig nach Hamburg fahren. Solche Strahlen bekam man eben nur an einem Synchrotron wie dem DESY. Und das lies sich beim besten Willen nicht abbauen. Mit anderen Untersuchungsmethoden war es ähnlich.
Die kritischen Stimmen über die Aufwände verschwanden schnell, als man die Vorteile entdeckte. Zu den ersten Begeisterten gehörten die beteiligten Institute.
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