Krieg um den Mond (German Edition)
erzählen - und bereute es schon zwei Minuten später. In ihren Augen stand das helle Entsetzen, sie murmelte etwas von Dämonen, redete wirres Zeug und stürzte zum Telefon. Michael bekam mit, dass sie versuchte, ihren Pastor zu erreichen, erst im Büro, dann zu Hause, dann auf dem Handy. Wenn man in seinem Zustand überhaupt von Erleichterung reden konnte, dann war er erleichtert, dass der Pastor unerreichbar auf einer Tagung war.
Den nächsten Versuch startete Michael bei seinem Vater. Bisher war der nicht zu Hause erschienen, aber am nächsten Tag traf er ihn beim Frühstück. Die Mutter schlief noch. Anscheinend hatten sie nicht miteinander gesprochen, denn sein Vater wusste von nichts. Michael versuchte, sein Problem so sachlich wie möglich in Worte zu fassen. Er wusste, dass sein Vater mit Emotionen nicht gut umgehen konnte.
Zwischen Toast und Kaffee sah sein Vater immer wieder verständnisvoll zu ihm herüber. Michael war fertig und wartete gespannt auf eine Antwort.
„Und? Wie sind die Lehrer?“
Michael war so verblüfft, dass er nicht wusste, was er sagen sollte. Seinen Vater schien das nicht im Geringsten zu stören, denn er stand auf, legte ihm die Hand väterlich auf die Schulter und verabschiedete sich: „Du schaffst das schon. Du bist doch mein Sohn. Und wenn es nötig ist, geben wir der Schule noch eine kleine Spende.“
Er war zur Tür heraus, bevor Michael „Good-bye“ sagen konnte, wenn er es denn hätte sagen wollen. Michael starrte auf seine halb leere Schale mit den Cornflakes und wusste nicht, wie ihm geschah.
Es gibt Menschen, die geben auf oder brechen hilflos zusammen, wenn eine Situation aussichtslos erscheint. Andere wachsen über sich hinaus und wagen etwas, was sie sonst nie tun würden. An diesem Morgen entdeckte Michael, dass er zur letzten Gruppe gehörte. Er wagte etwas, was für ihn früher auch nur zu denken tabu gewesen war.
Sein Vater war der absolute Herr des Hauses, speziell, was die Finanzen betraf. Damit nichts außerhalb seiner Kontrolle geschah, hatte Gordon seiner Frau nur eine einzige Kreditkarte zugestanden, der zudem noch enge Grenzen gesetzt waren. Michael hatte nie erlebt, dass seine Mutter dagegen aufbegehrte. Wahrscheinlich hatte sein Vater sie ganz früh schon so eingeschüchtert, dass sie es nie mehr wagte, aber das konnte Michael nur vermuten. Sie redete auch nie darüber. Wenn ihr etwas zu viel wurde, flüchtete sie sich in ihre Frauengruppe in der naheliegenden Kirche.
Gordons Vater war oft unterwegs und kam manchmal auch für längere Zeit nicht zu Hause. Deshalb hatte er an einer versteckten Stelle einen Blankoscheck für absolute Notfälle deponiert. Michael hatte ihn einmal zufällig entdeckt, als er im Keller nach einem bestimmten Werkzeug gesucht hatte.
Ob der Scheck noch da ist?
Michael stieg die Stufen hinunter. Alles war unverändert seit seinem letzten Besuch. Er bahnte sich einen Weg zu der Werkbank an der gegenüberliegenden Wand. Der Schlüssel für den metallenen Werkzeugschrank lag immer noch in dem schwarz gefärbten Marmeladenglas. Michael nahm ihn heraus. Der Schlüssel drehte sich schwer in dem Schloss. Es war klar, dass er nicht oft benutzt wurde. Leise quietschend ließ sich die Tür öffnen. In dem Schrank lag auf dem oberen Boden der Stapel mit Gebrauchsanleitungen. Sie lagen genau so, wie er sie hingelegt hatte, nachdem sie ihm bei seiner Suche heruntergefallen waren. Darunter lag der Scheck in einem unscheinbaren Umschlag.
Michael steckte den Scheck ein und verschloss den Schrank wieder sorgfältig. Er packte seine Reisetasche und verschwand, bevor seine Mutter aufwachte. Auf eine wortreiche Verabschiedung konnte er gut verzichten. Ein Taxi brachte ihn zum Flughafen. Er nahm den nächsten Flieger nach San Diego.
Noch am gleichen Tag verschickte Michael den Zehntausend-Dollar Scheck.
Die Zeit verstrich quälend langsam. Vor zwei Tagen war dann die E-Mail gekommen. Sie enthielt nichts außer einem Datum in großer, roter Schrift. Das Datum von übermorgen.
So schnell??
Michael hatte sich schon vorher hundeelend gefühlt und nicht für möglich gehalten, dass es ihm noch schlechter gehen konnte. Aber es gibt immer eine Steigerung, bloß - wie elend ist die Steigerung von hundeelend? Trotzdem hatte Michael nicht das Gefühl, wirklich krank zu sein. Millimeter für Millimeter untersuchte er sich vor dem Spiegel. Blass? Ja. Ringe unter den Augen auch, aber die hatte er schon länger. Fieber? Nein. Schmerzen? Nein.
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