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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Adel gesetzt habe.
    »Meine Herren«, sagte die zitternde Stimme des Kaisers, »niemals habe ich an der Hingebung des russischen Adels gezweifelt, aber heute wurde meine Erwartung übertroffen. Ich danke Ihnen im Namen des Vaterlandes, meine Herren! Handeln wir! Die Zeit ist kostbarer als alles.«
    Der Kaiser schwieg. Die Menge drängte sich um ihn, und von allen Seiten hörte man Rufe der Begeisterung.
    »Ja, kostbarer als alles! Das ist ein kaiserliches Wort!« rief Graf Rostow weinend. Er hatte nichts gehört, aber alles auf seine Weise verstanden.
    Der Kaiser begab sich in den Saal der Kaufmannschaft und blieb dort etwa zehn Minuten. Als er zurückkam, bemerkte Peter Tränen der Rührung in seinen Augen. Später erfuhr man, daß der Kaiser kaum seine Rede an die Kaufleute begonnen hatte, als Tränen aus seinen Augen stürzten und er mit zitternder Stimme seine Rede beendigte. Der Kaiser wurde von zwei Kaufleuten begleitet, der eine war Peter bekannt, ein dicker Branntweinpächter, der andere war das Stadthaupt mit einem hageren, gelben Gesicht und dünnem Bart. Beide weinten. Der Hagere hatte Tränen in den Augen, aber der dicke Branntweinpächter heulte wie ein Kind und wiederholte immer wieder: »Unser Leben und Eigentum nimm hin, Majestät!«
    Peter empfand in diesem Augenblick nur den glühenden Wunsch, zu beweisen, daß er alles zu opfern bereit sei. Über seine Rede mit dem konstitutionellen Anflug machte er sich selbst Vorwürfe und suchte eine Gelegenheit, sie wieder gutzumachen. Als er erfuhr, daß Graf Mamonow ein Regiment stellte, erklärte Besuchow sofort dem Grafen Rostoptschin, er werde tausend Mann stellen und unterhalten.
    Der alte Rostow konnte nicht ohne Tränen seiner Frau diesen feierlichen Vorgang erzählen. Er bewilligte sogleich die Bitte Petjas und fuhr selbst aus, um ihn anzumelden.
    Am andern Tage reiste der Kaiser ab. Die Gutsbesitzer nahmen ihre Uniformen ab, besuchten wieder den Klub und gaben ihren Verwaltern seufzend Befehle wegen des Landsturms, selbst verwundert darüber, was sie vollbracht hatten.

151
    Am Tage nach der Abreise seines Sohnes rief der alte Fürst Bolkonsky seine Tochter zu sich.
    »Nun, bist du jetzt zufrieden?« sagte er. »Hast mich mit meinem Sohn entzweit. Bist du zufrieden? Das hast du ja nur gewollt! Bist du zufrieden? ... Mir ist's schmerzlich, ich bin alt und schwach, aber du hast es gewollt! Nun freue dich! Freue dich!«
    Darauf sah Marie eine Woche lang ihren Vater nicht wieder. Er war krank und verließ sein Zimmer nicht.
    Mit Verwunderung bemerkte Marie, daß der Alte auch Mademoiselle Bourienne nicht mehr zu sich ließ. Nur Tichon durfte sein Zimmer betreten.
    Nach einer Woche erschien der Graf wieder und begann seine frühere Lebensweise. Besonders eifrig beschäftigte er sich mit Neubauten und Gärten, brach aber allen Verkehr mit Mademoiselle Bourienne ab. Durch seine Miene und durch seinen kalten Ton gegen Marie schien er sagen zu wollen: »Siehst du! Du hast gegen mich intrigiert, hast dem Fürsten Andree über meine Beziehungen zu dieser Französin etwas vorgelogen und mich mit ihm entzweit. Aber jetzt siehst du, daß ich weder dich noch die Französin brauche.«
    Einen großen Teil des Tages brachte Marie bei Nikolai zu, unterrichtete ihn im Russischen und in der Musik, und sprach mit Desalles. Die übrige Zeit verbrachte sie mit Büchern, mit ihrer alten Amme, mit Pilgerinnen, welche zuweilen durch die Hintertür zu ihr kamen. Während des ganzen Juli war der Fürst außerordentlich tätig und erschien wie neu belebt. Er legte noch einen neuen Garten an und baute ein neues Gebäude für Hofsleute. Marie war beunruhigt darüber, daß er wenig schlief und seine Gewohnheit, in seinem Kabinett zu übernachten, ganz aufgab. Jeden Tag hatte er eine andere Schlafstelle, bald befahl er, sein Feldbett in der Galerie aufzuschlagen, bald schlummerte er unausgekleidet auf einem Diwan oder in einem Lehnstuhl, während sein Bursche Petruschka, aber nicht Mademoiselle Bourienne, ihm vorlas, bald übernachtete er wieder im Speisezimmer.
    Am 1. August kam ein neuer Brief vom Fürsten Andree. In seinem ersten Brief, bald nach seiner Abreise, hatte er seinen Vater um Verzeihung gebeten für das, was er sich ihm zu sagen erlaubt hatte. Darauf hatte der alte Fürst ihm einen freundlichen Brief geschrieben und die Französin von sich ferngehalten. Der zweite Brief Andrees aus der Nähe von Witebsk, nach der Einnahme dieser Stadt durch die Franzosen, bestand in

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