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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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zurückzuhalten, aber sie drängte sich vorüber.
    »Warum hält man mich zurück? Warum diese erschreckten Gesichter...?«
    Sie trat in das Zimmer ihres Vaters. Die alte Amme und noch einige Frauen, die das Bett umgaben, traten bei ihrem Anblick zurück, und sie erblickte das strenge, aber ruhige Gesicht des Toten.
    »Nein, es ist nicht möglich!« rief sie.
    Sie überwand ihren Schrecken, näherte sich dem Totenbett und drückte ihre Lippen auf die Wange ihres Vaters. Aber bei dieser Berührung zitterte sie und schrak zurück. Alle Liebe, die sie empfunden hatte, war verschwunden und einem Gefühl des Abscheus und der Furcht gewichen.
    »Er ist nicht mehr! Er ist nicht mehr, und an seiner Stelle ist etwas Schreckliches, ein entsetzliches Geheimnis erschienen, das mich zurückstößt und erstarren macht«, murmelte sie. Sie bedeckte das Gesicht mit den Händen und fiel bewußtlos in die Arme des Arztes, der ihr gefolgt war.
     
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    Der Leichnam wurde gewaschen und mit seiner Uniform bekleidet, und alle Orden wurden auf einem kleinen Tisch neben der Leiche niedergelegt. Wie durch Zauberei war der Sarg am Abend bereit, man bedeckte ihn mit dem Leichentuch, Kerzen wurden angezündet, man streute Wacholderzweige auf den Fußboden aus, und der Diakon begann Psalmen zu lesen. Viele Nachbarn und sogar Fremde waren gekommen und umgaben den Sarg, zitternd wie Pferde, welche schnauben und sich bäumen beim Anblick eines toten Pferdes. Der Adelsmarschall, der Dorfälteste und die Dienstleute des Hauses bekreuzigten und verbeugten sich mit starren Augen und schreckerfüllten Gesichtern vor dem Sarg und küßten die kalte steife Hand des alten Fürsten.

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    Bogutscharowo war bei seinem alten Herrn niemals beliebt gewesen. Die Bauern dieses Gutes waren verschieden von denen in Lysy Gory in ihrer Sprache, Kleidung und ihren Sitten. Sie nannten sich Steppenbewohner. Der Fürst schätzte sie als fleißige Arbeiter und ließ sie oft nach Lysy Gory zur Ernte kommen, aber er liebte sie nicht wegen ihres scheuen Wesens. Die Reformen des Fürsten Andree während seines Aufenthaltes in Bogutscharowo, die Hospitäler und Schulen, die er erbaut hatte, die Verminderung der Fronabgaben hatten ihr scheues Wesen nicht gemildert. Seltsame Gerüchte fanden bei ihnen immer Glauben. Bald erzählte man, die ganze Bevölkerung sei den Kosaken zugeschrieben worden, man werde eine neue Religion bei ihnen einführen; oft sprachen sie auch von der Freiheit, die der Kaiser Paul im Jahre 1707 ihnen gegeben und welche die Herren wieder weggenommen hätten. Der Krieg mit Napoleon und der feindliche Einfall hatte sich mit ihren konfusen Ideen vom Antichristen, vom Ende der Welt und von unbegrenzter Freiheit in ihrer Phantasie vermischt. Geheimnisvolle Strömungen des Volkslebens, dessen Quellen uns oft verborgen bleiben, erlangten hier eine ganz besondere Kraft. Zwanzig Jahre früher zum Beispiel waren die Bauern von Bogutscharowo, durch andere verleitet, in Massen ausgewandert, wie Zugvögel. Sie zogen nach Südosten, wo es Flüsse geben sollte, deren Wasser beständig warm war. Hunderte von Familien verkauften alles, was sie besaßen, und verließen ihre Heimat. Manche hatten sich losgekauft, andere waren entflohen. Viele dieser Unglücklichen wurden grausam bestraft und nach Sibirien geschickt, andere kamen unterwegs durch Hunger und Kälte um, die übrigen kamen nach Bogutscharowo zurück, und die Bewegung hörte auf, wie sie begonnen hatte, ohne erkennbare Ursache. Jetzt herrschte eine ähnliche Gärung unter den Bauern. Sie wurden durch geheimnisvolle Einflüsse heftig erregt, die nur eine günstige Gelegenheit erwarteten, um sich mit neuer Heftigkeit zu äußern.
    Alpatitsch war in Bogutscharowo wenige Tage vor dem Tode des alten Fürsten als Verwalter eingesetzt worden und bemerkte eine gewisse Aufregung unter den Bauern. Es hieß, die Kosaken zerstörten die Dörfer, welche von ihren Einwohnern verlassen wurden, während die Franzosen sie schonten. Alpatitsch wußte auch, daß ein anderer Bauer aus dem benachbarten Städtchen eine französische Proklamation mitgebracht hatte, worin gesagt war, die Franzosen werden alles bar bezahlen. Dabei zeigte er die Hundertrubelscheine vor, welche er für sein Heu erhalten hatte, er wußte aber nicht, daß das Papiergeld gefälscht war.
    Was aber das Wichtigste war – Alpatitsch erfuhr, daß die Bauern beschlossen hatten, die verlangten Pferde nicht zu stellen und das Dorf nicht zu verlassen. Und doch

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