Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
Vom Netzwerk:
nicht verlassen.«
    »Ihr Name?« fragte Davoust.
    »Besuchow.«
    »Was beweist mir, daß Sie nicht lügen?«
    »Hoheit!« rief Peter, nicht mit beleidigter, sondern bittender Stimme. Davoust schaute ihn durchdringend an. Einige Augenblicke blickten sie einander in die Augen, und dies rettete Peter. In diesem einen Augenblick durchlebten sie unzählige, unbestimmte Gedanken und begriffen, daß sie beide Kinder der Menschheit, daß sie Brüder seien.
    »Womit beweisen Sie mir die Wahrheit Ihrer Worte?« fragte Davoust kühl.
    Peter erinnerte sich an Ramballes und nannte ihm seinen Namen, sowie die Straße, in der er wohnte.
    »Sie sind nicht das, was Sie sagen«, wiederholte Davoust.
    Peter führte mit zitternder Stimme Beweise für seine Angaben an, aber in diesem Augenblick trat ein Adjutant ein und machte Davoust eine Meldung. Dieser strahlte und begann seine Uniform zuzuknöpfen. Augenscheinlich hatte er Peter ganz vergessen.
    Als der Adjutant ihn an den Gefangenen erinnerte, nickte er finster nach der Seite, wo Peter stand, und sagte, man solle ihn abführen, aber wohin, das wußte Peter nicht, zurück in die Wagenscheune oder auf den Richtplatz?
    Als er den Kopf umwandte, sah er, daß der Adjutant etwas fragte.
    »Versteht sich«, sagte Davoust, aber Peter wußte nicht, worauf sich das bezog.
    Sie gingen lange Zeit, und Peter erkannte nicht, wohin und wie lange sie gingen. Er war im Zustand vollständiger Gedankenlosigkeit und sah nichts um sich her, bewegte nur die Beine, so wie die anderen, so lange, bis alle anhielten. Nur ein Gedanke beschäftigte Peter. Wer hatte ihn verurteilt? Es waren nicht die Leute, die ihn zuerst verhörten, es war auch nicht Davoust, der so menschlich ihn ansah. Noch eine Minute, und Davoust hätte begriffen, daß er einen Mißgriff beging, aber er wurde durch den Adjutanten unterbrochen. Auch der Adjutant wollte augenscheinlich nichts Böses. Wer also ließ Peter hinrichten? Wer tat das? Und Peter fühlte, daß das niemand war.
    Es war die Folge der Umstände, die ihn vernichtete.

216
    Vom Hause des Fürsten Schtscherbatow wurden die Gefangenen auf das Jungfernfeld, links vom Jungfernkloster, geführt. Man stellte sie an einem Zaun auf, an welchem eine Säule stand. Hinter der Säule war eine große Grube ausgegraben und rings um dieselbe stand eine dichte Volksmenge, die zum kleineren Teil aus Russen, meist aber aus französischen Soldaten bestand. Rechts und links von der Säule standen französische Soldaten in Reihe und Glied.
    Die Verbrecher wurden nach dem Verzeichnis aufgestellt, Peter war der sechste. Plötzlich ertönte Trommelwirbel von beiden Seiten, Peter verlor die Fähigkeit zu denken und konnte nur noch hören und sehen. Er hatte nur einen Wunsch, daß recht bald das Schreckliche geschehe, was kommen mußte. Er betrachtete seine Genossen. Der erste in der Reihe war ein hochgewachsener, hagerer Mensch, der zweite war ein stark behaarter, muskulöser Mensch mit aufgestülpter Nase, der dritte ein wohlgenährter Mensch von etwa fünfundvierzig Jahren mit ergrauenden Haaren. Neben diesem stand ein sehr schöner Bauer mit starkem rötlichen Bart und schwarzen Augen, der fünfte war ein gelber, schmächtiger Fabrikarbeiter von etwa achtzehn Jahren.
    Peter hörte, wie die Franzosen sich berieten, ob man sie einzeln oder zu zweien erschießen solle.
    »Zu zweien«, entschied der älteste Offizier mit kühler Ruhe. In den Reihen der Soldaten entstand eine Bewegung, ein französischer Beamter mit einer Schärpe trat vor und las auf französisch und auf russisch ein Urteil vor.
    Dann gingen zwei Paar Franzosen auf die Verbrecher zu und führten die beiden ersten auf Befehl des Offiziers an den Pfosten. Während man Säcke holte, blickten sie sich schweigend um, wie gejagtes Wild dem Jäger entgegensieht. Der eine bekreuzigte sich fortwährend, der andere kratzte den Rücken und versuchte zu lächeln. Die Soldaten verbanden ihnen hastig die Augen, zogen die Säcke über und banden sie an die Säule. Zwölf Mann traten mit gemessenen, festen Schritten aus den Reihen hervor und blieben acht Schritte vor dem Pfahl entfernt stehen. Peter wandte sich ab, um nicht zu sehen, was kommen sollte. Plötzlich hörte er ein Krachen, das ihm lauter als der schrecklichste Donner vorkam. Als er sich umblickte, erhob sich eine Rauchwolke, und die Franzosen waren mit bleichen Gesichtern und zitternden Händen an der Grube beschäftigt. Man führte zwei andere herbei, sie blickten ebenso

Weitere Kostenlose Bücher