Krieg und Frieden
meinen Soldaten ebensogut zu sterben als ein anderer«, sagte er, und dann rückte er mit seiner Division vor. Als er auf das Feld hinauskam in das französische Feuer, ging er, ohne zu bedenken, ob dieser Angriff jetzt nützlich sei oder nicht, mit der einen Division immer weiter vor. Gefahr, Granaten und Kugeln waren das, was er in seiner zornigen Stimmung jetzt nötig hatte. Eine der ersten Kugeln tötete ihn, mit ihm fiel eine große Anzahl Soldaten, und die Division stand einige Zeit ganz nutzlos im heftigen Feuer.
224
Inzwischen sollte von der Front eine andere Kolonne die Franzosen angreifen. Bei dieser Kolonne aber war Kutusow. Er wußte wohl, daß die Folge der gegen seinen Willen begonnenen Schlacht nur Verwirrung sein konnte und hielt die Truppen zurück, soviel er konnte. Deshalb rührte er sich jetzt nicht von der Stelle und gab auf den Vorschlag, anzugreifen, nur widerwillige Antworten.
»Ihr sprecht immer von attackieren und seht nicht ein, daß wir keine komplizierten Manöver auszuführen verstehen«, sagte er zu Miloradowitsch, der zum Angriff mahnte. »Heute morgen haben wir nicht verstanden, Murat gefangenzunehmen und zur rechten Zeit zur Stelle zu sein, jetzt ist nichts zu machen«, erwiderte er einem anderen.
Jermolow näherte sich Kutusow und meldete ehrerbietig: »Die Zeit ist noch nicht verloren, Durchlaucht, der Feind ist noch nicht abgezogen. Befehlen Sie, anzugreifen, sonst bekommt die Garde kein Pulver zu riechen!«
Kutusow gab keine Antwort, aber als man ihm meldete, daß sich die Truppen Murats zurückziehen, gab er Befehl zum Angriff. Nach jedem Hundert Schritte aber machte er wieder drei Viertelstunden lang halt. Die ganze Schlacht bestand nur darin, was die Kosaken Orlows getan hatten. Alle übrigen Truppen verloren nur ganz unnützerweise einige hundert Mann.
Nach dieser Schlacht erhielt Kutusow einen Brillantorden und Bennigsen gleichfalls Brillanten und hunderttausend Rubel. Auch andere erhielten je nach ihrem Rang viel Angenehmes, und nach dieser Schlacht erfolgten auch neue Beförderungen im Generalstab.
225
Am 6. Oktober frühmorgens trat Peter aus der Baracke heraus, blieb unter der Tür stehen und spielte mit einem kleinen Hund mit kurzen, krummen Beinen. Dieses Hündchen wohnte bei ihnen, übernachtete bei Karatajew, ging zuweilen in die Stadt, kehrte aber immer wieder zurück. Wahrscheinlich gehörte es niemand. Die Franzosen nannten es Azor, und seine krummen Beine dienten ihm so gut, daß es oft graziös ein Hinterbein aufhob und gewandt auf drei Beinen lief.
Peters Kleidung bestand jetzt aus einem schmutzigen, zerrissenen Hemd, Soldatenhosen, welche der Wärme wegen auf den Rat Karatajews unten zusammengebunden wurden, ferner aus einem Kaftan und einer Bauernmütze. Peter hatte sich sehr verändert und schien nicht mehr dick zu sein. Ein dichter Bart bedeckte den unteren Teil seines Gesichts und struppige, verwirrte Haare, voll von Ungeziefer, den Kopf. Der Ausdruck seiner Augen war ruhig und fest, wie er früher niemals gewesen war, seine frühere Zerfahrenheit, die sich auch in seinem Blick ausgesprochen hatte, war jetzt einem Ausdruck von Tatkraft gewichen. Peter blickte bald auf das Feld hinaus, auf welchem heute Fuhren und Reiter erschienen waren, bald in die Ferne über den Fluß hinüber, bald auf das Hündchen, das ihn zum Scherzen aufforderte, bald auf seine bloßen Füße, deren Anblick ihn an alles erinnerte, was er in dieser Zeit durchgemacht hatte. Diese Erinnerung war ihm angenehm. Das Wetter war still und hell mit leichten Nachtfrösten, ein richtiger Altweibersommer. Im Sonnenschein war es noch warm, auf allen Gegenständen in der Nähe und Ferne lag jener zauberhafte Glanz, der nur in dieser Zeit des Herbstes erscheint. In der Ferne erblickte man die Sperlingsberge mit einer Kirche und einem großen Waisenhaus.
Ein französischer Korporal mit einer Feldmütze und einer kurzen Pfeife im Mund kam aus einer Ecke der Baracke hervor und nickte Peter freundlich zu.
»Was für ein Wetter, Monsieur Kirill, wie im Frühjahr!« Er lehnte sich an die Tür und bot Peter seine Pfeife an, obgleich dieser immer dafür dankte.
Peter fragte ihn, was es Neues gebe, und der Korporal erzählte, daß fast alle Truppen ausmarschieren und daß jetzt auch bald ein Befehl wegen der Gefangenen kommen werde. Einer der Soldaten in der Baracke war todkrank, und Peter sagte dem Korporal, man müsse für diesen Sterbenden sorgen. Der Korporal erwiderte, Peter könne ruhig
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