Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
Vom Netzwerk:
sein, dafür habe man mobile Lazarette und Spitäler. »Und dann, Monsieur Kirill, brauchen Sie nur dem Kapitän ein Wort zu sagen, Sie wissen, er vergißt nichts und tut alles für Sie!«
    Der Kapitän, von dem der Korporal sprach, hatte oft mit Peter gesprochen und sich immer sehr höflich gegen ihn benommen.
    »›Siehst du, Thomas‹, sagte mir der Kapitän, ›Kirill ist ein gebildeter Mensch, spricht Französisch, ein russischer Herr, der Unglück gehabt hat, aber er ist doch ein Mensch. Wenn er etwas nötig hat, so soll es ihm nicht verweigert werden.‹ Ja, Monsieur Kirill, neulich wäre es schlimm geworden, wenn Sie nicht gewesen wären.«
    Es war nämlich Streit zwischen den Gefangenen und Franzosen entstanden, wobei Peter seine Genossen zur Ruhe brachte. – Als der Korporal gegangen war, fragten Peter einige Landsleute, was er gesagt habe. Während ihnen Peter darüber Mitteilung machte, erschien in der Tür ein hagerer, gelber, abgerissener, französischer Soldat und fragte Peter, ob in dieser Baracke ein Soldat Karatajew sei, dem er Leinwand zu einem Hemd übergeben habe.
    Vor einer Woche hatten die Franzosen Material zu Stiefel und Leinwand erhalten und ließen sich von Gefangenen Stiefel und Hemden anfertigen.
    »Fertig, mein Falke!« rief Karatajew. Der Wärme und der Bequemlichkeit bei der Arbeit wegen trug Karatajew nur Beinkleider und ein kohlschwarzes Hemd. Die Haare hatte er mit einem Bindfaden über der Stirn zusammengebunden, und sein rundes Gesicht erschien noch runder und niedlicher. Lachend hielt er ein fertiges Hemd in die Höhe.
    Der Franzose blickte sich unruhig um, dann schien er plötzlich seine Unschlüssigkeit überwunden zu haben, warf hastig die Uniform ab und legte das Hemd an. Unter seiner Uniform hatte der Franzose kein Hemd und trug auf dem bloßen, hageren, gelben Körper eine lange, schmutzige, seidene Weste mit Blumenstickerei. Er fürchtete deshalb ausgelacht zu werden und steckte hastig den Kopf in das Hemd, aber niemand sprach ein Wort.
    »Siehst du, das sitzt vortrefflich«, sagte Karatajew, indem er das Hemd betrachtete. »Das ist hier keine Schneiderwerkstatt und richtiges Werkzeug gibt es hier auch nicht. Was sagt das russische Sprichwort? Ohne Gerät kann man keine Laus totschlagen.«
    »Gut, gut, danke! Aber wo ist die Leinwand, die übrigblieb?« sagte der Franzose.
    »Es wird noch weiter werden, wenn du es auf dem Leibe hast«, sagte Karatajew, indem er noch immer sein Werk bewunderte.
    »Ich danke sehr, aber wo sind die Reste?« wiederholte der Franzose lachend, indem er Karatajew ein Stück Papiergeld reichte. »Gib die Reste her!«
    Peter sah, daß Karatajew nicht verstehen wollte, was der Franzose sagte, und sah zu, ohne sich einzumischen. Karatajew dankte für das Geld und rühmte noch immer seine Arbeit, aber der Franzose bestand auf den Resten, und bat Peter, zu übersetzen, was er sagte.
    »Wozu braucht er die Reste?« sagte Karatajew. »Wir könnten sie gut brauchen zu Fußlappen. Nun, meinetwegen!« Und mit betrübter Miene nahm Karatajew ein Knäuel von Abschnitzeln aus der Brusttasche und reichte sie dem Franzosen.
    Der Franzose sah die Leinwand an, überlegte und blickte fragend Peter an. »Karatajew!« rief er plötzlich errötend mit kreischender Stimme.
    »Nimm das!« sagte er, reichte ihm die Reste, wandte sich um und ging.
    »Sieh doch«, sagte Karatajew, den Kopf wiegend, »man sagt, sie seien Heiden, aber sie haben doch eine Seele!«

226
    Vier Wochen waren vergangen, seitdem Peter in der Gefangenschaft war. Man hatte ihm angeboten, ihn in die Offiziersbaracke zu versetzen, aber er wollte bleiben, wo er war.
    In dem zerstörten und verbrannten Moskau hatte Peter Entbehrungen fast bis zur äußersten Grenze durchgemacht, aber dank seiner kräftigen Gesundheit, die er bisher nicht zu schätzen wußte, ertrug er alles mit Leichtigkeit, und erst in dieser Zeit gewann er jene Ruhe und Zufriedenheit mit sich selbst, nach der er früher vergebens gestrebt hatte, und die er früher auf den verschiedensten Wegen, in der Philanthropie, in der Freimaurerei, in den Zerstreuung des Weltlebens, im Weine, im Heroismus der Selbstaufopferung, in seiner romantischen Liebe zu Natalie vergebens gesucht hatte. Die schrecklichen Augenblicke, die er bei der Hinrichtung durchlebt hatte, hatten alle ihm früher wichtig erschienenen Gefühle und Erinnerungen abgewaschen. Er dachte nicht mehr an Rußland, an den Krieg, an die Politik, und seine Absicht. Napoleon zu

Weitere Kostenlose Bücher