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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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töten, erschien ihm jetzt sogar lächerlich. Auch sein Groll gegen seine Frau und die Sorge, daß sie seinen Namen beschimpfen werde, erschienen ihm jetzt nichtig.
    Nun erinnerte er sich oft an sein Gespräch mit Fürst Andree, der behauptete, das Unglück sei nur negativ und das in uns gelegte Streben nach dem Glück sei uns nur deshalb verliehen, um durch seine Nichtbefriedigung uns zu quälen. Ohne Rückhalt erkannte Peter die Richtigkeit dessen an. Die Befreiung von allen Leiden, die Befriedigung der Bedürfnisse, gute Nahrung und Reinlichkeit und demzufolge auch die Freiheit, sich eine Beschäftigung, eine Lebensweise selbst zu wählen, erschienen Peter als das höchste Glück des Menschen, besonders jetzt, wo er das alles entbehrte. Er vergaß, daß der Überfluß der Annehmlichkeiten des Lebens alles Glück, das die Befriedigung der Bedürfnisse gewährt, vernichtet, und daß ebenso die Freiheit, sich seine Beschäftigung selbst zu wählen – dieselbe Freiheit, die ihm die Bildung, der Reichtum, die Stellung in der Welt verliehen –, das Bedürfnis selbst und die Möglichkeit einer Beschäftigung vernichten.
    Jetzt richteten sich alle seine Gedanken auf jenen Augenblick, in dem er frei sein werde. Später aber dachte er sein ganzes Leben lang mit Entzücken an diese Monate der Gefangenschaft zurück, an die vollkommene geistige Ruhe und innere Freiheit, die er in jener Zeit empfand.

227
    In der Nacht vom 6. auf den 7. Oktober begann die Bewegung der abmarschierenden Franzosen. Küchen und Baracken wurden abgebrochen. Fuhren wurden beladen, Truppen und Wagen setzten sich in Bewegung. Um sieben Uhr morgens erschien eine Abteilung Infanterie in Feldausrüstung, mit Tschako, Gewehren, Tornistern und großen Brotbeuteln vor der Baracke, und durch die ganze Linie lief ein lebhaftes, geräuschvolles französisches Schwatzen, mit Schimpfworten untermischt.
    In der Baracke waren alle bereit und angekleidet und erwarteten nur den Befehl, hinauszugehen. Der kranke Soldat Sokolow, mit bleichem, hagerem Gesicht und blauen Ringen um die Augen, lag allein noch unangekleidet auf seiner Stelle und blickte mit starren Augen fragend nach den Genossen, die sich nicht um ihn kümmerten. Er stöhnte leise, augenscheinlich weniger aus Schmerz – er litt am Blutsturz – als aus Angst, allein zurückzubleiben.
    Peter trug Schuhe, die ihm Karatajew verfertigt hatte, und war mit einem Strick umgürtet. Er setzte sich neben den Kranken.
    »Nun, Sokolow, sie werden wohl nicht ganz und gar abziehen. Sie haben da ein Hospital, vielleicht ist es noch besser als die unsrigen«, sagte Peter.
    »O, das ist mein Tod«, stöhnte der Soldat.
    »Ich werde mich erkundigen«, sagte Peter und ging zur Tür. In demselben Augenblick trat der Korporal, der Peter die Pfeife angeboten hatte, mit zwei Soldaten ein; er hatte Befehl, die Tür zu schließen und die Gefangenen abzuzählen.
    »Korporal, was wird mit diesem Kranken geschehen?« begann Peter, aber in demselben Augenblick ertönte von zwei Seiten Trommelwirbel. Der Korporal stieß mit finsterer Miene einige Schimpfworte aus und schlug die Tür zu. In der Baracke wurde es halb dunkel.
    »Da ist es wieder«, dachte Peter. In dem veränderten Benehmen des Korporals, in dem betäubenden Trommelwirbel hatte Peter jene geheimnisvolle, teilnahmlose Gewalt erkannt, welche die Menschen veranlaßte, gegen ihren Willen ihresgleichen zu töten. Es war jetzt nichts zu machen, als geduldig zu warten. Peter ging nicht mehr zu dem Kranken und blickte ihn auch nicht mehr an, sondern blieb schweigend und mit finsterer Miene an der Tür stehen.
    Als die Tür geöffnet wurde, drängte sich Peter durch die Gefangenen hinaus und ging auf den Kapitän zu, der nach der Versicherung des Korporals bereit war, für Peter alles zu tun. Auch der Kapitän trug Feldausrüstung, und aus seinem kalten Gesicht blickte auch jenes »Etwas« hervor, das Peter in den Worten des Korporals und in dem Trommelwirbel erkannt hatte.
    »Schert euch hinaus«, sagte der Kapitän, mit finsterer Miene nach den sich herausdrängenden Gefangenen blickend. Peter wußte, daß sein Versuch vergeblich sein werde, aber er trat dennoch auf den Kapitän zu.
    »Nun, was gibt's?« fragte der Offizier. Peter sprach von dem Kranken.
    »Er geht mit! Zum Teufel!« sagte der Kapitän.
    »Aber er ist am Sterben«, begann Peter.
    »Marsch! Zum Teufel!« schrie der Kapitän zornig. Tram–da–da–dam– dam! wirbelten die Trommeln, und Peter begriff, daß

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