Krieg und Frieden
empfange Sonntags, sagte er.
»Melde mich, vielleicht wird sie mich annehmen«, sagte Peter.
»Sogleich!« erwiderte der Haushofmeister. »Belieben Sie einzutreten!«
Nach wenigen Augenblicken kam Desalles und teilte Peter im Namen der Fürstin mit, sie sei sehr erfreut, ihn zu sehen, und bitte ihn, ohne Umstände nach oben in ihre Zimmer zu kommen.
In einem kleinen Zimmer, das von einer einzigen Kerze erleuchtet wurde, saß die Fürstin in Gesellschaft einer schwarzgekleideten Dame, die Peter für eine Gesellschafterin hielt. Die Fürstin kam ihm rasch entgegen und reichte ihm die Hand.
»Ja«, sagte sie, sein verändertes Gesicht anblickend, nachdem er ihre Hand geküßt hatte, »so sehen wir uns wieder! Er hat in der letzten Zeit oft von Ihnen gesprochen. Ich war sehr erfreut, als ich von Ihrer Rettung hörte, das war die einzige freudige Nachricht seit langer Zeit.« Sie richtete ihren Blick auf die Gesellschafterin mit einer Beharrlichkeit und Unruhe, über die Peter sich wunderte.
»Sie können sich vorstellen, daß ich nichts von ihm wußte«, sagte Peter. »Ich hielt ihn für gefallen! Alles, was ich jetzt weiß, habe ich aus dritter Hand erfahren. Ich weiß nur, daß ihn der Zufall zu Rostows geführt hat. Welche Schicksalsfügung!«
Peter sprach rasch und lebhaft. Wenn er die Gesellschafterin ansah, begegnete er ihrem freundlichen, neugierigen Blick, der auf ihn gerichtet war, aber bei den letzten Worten, als er Rostows erwähnte, drückte sich auf der Miene der Fürstin Marie große Verwirrung aus. Wieder richteten sich ihre Blicke von Peter auf das Gesicht der Dame im schwarzen Kleid.
»Sie erkennen sie wahrscheinlich nicht?« sagte sie.
Peter blickte nochmals das bleiche, feine Gesicht der Dame mit den schwarzen Augen und dem seltsamen Zug um den Mund forschend an, und etwas längst Vergessenes begegnete ihm in diesen aufmerksamen, fragenden Augen.
»Nein, nein, es kann nicht sein!« dachte er. »Dieses strenge, hagere, bleiche und gealterte Gesicht! Das kann sie nicht sein! Das ist nur die Erinnerung an sie!«
»Natalie!« sagte in diesem Augenblick die Fürstin, und das Gesicht mit den forschenden Augen lächelte. Plötzlich erglänzte vor Peter jenes längst vergessene Glück, an das er jetzt weniger als je gedacht hatte. Als sie lächelte, war kein Zweifel daran, daß das Natalie war, die er liebte. Im ersten Augenblick verriet Peter unwillkürlich ihr und der Fürstin Marie und vor allem sich selbst das ihm selbst unbekannte Geheimnis durch freudiges Erröten. Er wollte seine Erregung verbergen, aber je mehr er sich bemühte, um so deutlicher wurde es ihm selber, ihr und der Fürstin Marie, daß er sie liebte. »Nein, das ist nur die Überraschung«, dachte Peter, aber als er das Gespräch mit der Fürstin Marie fortsetzen wollte und Natalie wieder anblickte, bedeckte eine noch tiefere Röte sein Gesicht und eine noch stärkere Erregung freudigen Schreckens erfaßte ihn, seine Worte wurden verwirrt und er blieb mitten in seiner Rode stecken.
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»Sie ist als mein Gast mit mir gekommen«, sagte die Fürstin. »Der Graf und die Gräfin werden nach einigen Tagen ankommen. Die Gräfin befindet sich in einem schrecklichen Zustand, aber Natalie muß selber die Ärzte befragen, und man hat sie fast mit Gewalt mit mir hierhergesandt.«
»Gibt es jetzt eine Familie ohne Kummer?« bemerkte Peter zu Natalie. »Sie wissen, es war derselbe Tag, an dem wir befreit wurden, ich habe ihn gesehen! Was war es für ein entzückender Jüngling!«
Natalie blickte ihn schweigend an, und ihre Augen glänzten noch heller. »Was soll ich zum Trost sagen?« fuhr Peter fort. »Warum mußte ein so prächtiger junger Mann voll Leben sterben?«
Ja, in jetziger Zeit ist es schwer, ohne Glauben zu leben«, bemerkte Fürstin Marie.
»Ja, ja, das ist eine wirkliche Wahrheit«, bestätigte Peter.
»Warum?« fragte Natalie, indem sie Peter forschend ansah.
»Wieso – warum?« fragte Marie. »Schon der Gedanke daran, was uns dort erwartet!«
Natalie blickte wieder Peter fragend an, und deshalb fuhr Peter fort: »Weil nur der Mensch, der an Gott glaubt, einen solchen Verlust ertragen kann wie den Ihrigen.«
Natalie öffnete schon den Mund, um etwas zu sagen, aber Peter wandte sich an Marie mit der Frage nach den letzten Lebenstagen seines Freundes. Seine Befangenheit war schon fast ganz geschwunden, er fühlte aber zugleich, daß auch seine bisherige Freiheit schwand. Er fühlte, daß jedes seiner Worte und jede
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