Krieg und Frieden
seiner Handlungen jetzt einem Richter unterlag, dessen Urteil ihm teurer als alles in der Welt war.
Mit einigem Widerstreben erzählte Fürstin Marie, in welcher Lage sie ihren Bruder getroffen habe, aber die Fragen Peters, sein Blick voll Unruhe veranlaßten sie, nach und nach auch Einzelheiten wiederzugeben, deren Erinnerung ihr peinlich war.
»Ja, ja«, sagte Peter, »er hat sich also beruhigt und seine Stimmung ist milder geworden! Er hat mit allen Kräften seiner Seele danach gestrebt, vollkommen gut zu sein, und darum konnte er den Tod nicht fürchten. Welches Glück, daß er Sie wiedersah!« sagte er zu Natalie, indem er sie mit Augen voll Tränen ansah.
Das Gesicht Natalies zuckte, sie schlug die Augen nieder. »Ja, es war ein Glück für mich!« sagte sie mit leiser Stimme, »und auch er ... er ... sagte, als ich zu ihm trat, er habe sich danach gesehnt.« Ihre Stimme brach ab, sie errötete und faltete die Hände auf den Knien.
Plötzlich erhob sie den Kopf und begann hastig zu sprechen: »Wir wußten nichts von ihm, als wir Moskau verließen, und ich wagte nicht, nach ihm zu fragen, da sagte mir Sonja plötzlich, er sei bei uns. Ich konnte mir nicht vorstellen, in welchem Zustand er sich befand, aber ich mußte ihn sehen«, sagte sie hastig und zitternd. Dann erzählte sie alles, was sie in diesen drei Wochen an seinem Sterbebett erlebt hatte.
Peter hörte sie mit offenem Munde an und wandte keinen Blick von ihr, solange sie sprach. Er dachte weder an den Fürsten Andree, noch an den Tod, noch an das, was sie erzählte, er hörte sie und bedauerte sie nur wegen des Schmerzes, den sie jetzt empfand. Die Fürstin hielt mit Mühe ihre Tränen zurück, während sie zum erstenmal von diesen letzten Tagen der Liebe ihres Bruders zu Natalie hörte.
Für Natalie war es augenscheinlich ein Bedürfnis gewesen, sich auszusprechen. Es schien, als könne sie kein Ende finden und mehrmals wiederholte sie dasselbe. Vor der Tür hörte man Desalles' Stimme, welcher fragte, ob Nikolai hineinkommen könne.
»Das ist alles, alles...« sagte Natalie. Hastig erhob sie sich, als Nikolai eintrat, und eilte zur Tür. Sie stieß den Kopf an, stöhnte halb vor Schmerz, halb vor Kummer und verließ das Zimmer. Peter blickte ihr nach und begriff nicht, warum er plötzlich auf der ganzen Welt allein geblieben war. Er erwachte aus seiner Zufriedenheit, als er den kleinen Nikolai im Zimmer sah. Der Anblick des Kleinen, der seinem Vater so sehr glich, wirkte in diesem Augenblick so stark auf Peter, daß er hastig aufstand, sein Tuch ergriff und ans Fenster trat. Er wollte sich verabschieden, aber die Fürstin hielt ihn zurück.
»Nein, wir schlafen oft nicht vor drei Uhr. Bitte, bleiben Sie und speisen Sie mit uns! Gehen Sie nach unten, wir werden sogleich kommen!«
Ehe Peter ging, sagte die Fürstin: »Das war das erstemal, daß sie so von ihm sprach.«
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Peter wurde in den hellerleuchteten, großen Speisesaal geführt, nach einigen Minuten wurden Schritte gehört, und die Fürstin trat mit Natalie ein. Natalie war ruhig und ernst. Sowohl Marie als Natalie und Peter empfanden dasselbe Gefühl von Unbehaglichkeit, das gewöhnlich auf ein beendigtes, ernstes und lebhaftes Gespräch folgt. Das frühere Gespräch fortzusetzen, war ebenso unmöglich, als von Geringfügigem zu sprechen. Schweigend gingen sie zu Tische. Peter entfaltete die Serviette, und entschlossen, das Schweigen zu brechen, blickte er Natalie und Marie an. Beide schienen dasselbe zu beabsichtigen und in den Augen beider erglänzte Lebenslust.
»Trinken Sie ein Gläschen, Graf?« fragte die Fürstin Marie, und diese Worte verscheuchten plötzlich das Vorhergegangene. »Berichten Sie uns Ihre Erlebnisse«, sagte die Fürstin. »Man erzählt sich solche Wunder von Ihnen.«
»Ja«, erwiderte Peter mit seinem gewohnten Lächeln milden Spottes, »man erzählt mir selber zuweilen solche Wunder, wie ich sie im Traum nie erlebt habe. Ich habe bemerkt, daß es sehr leicht ist, ein interessanter Mensch zu sein, und jetzt bin ich ein interessanter Mensch. Man ruft mich zu sich und erzählt mir, was ich erlebt habe.«
»Und Sie werden wieder bauen?« fragte die Fürstin.
»Ja, Saweljitsch will es haben.«
»Und Sie wußten noch nichts von dem Tod der Gräfin, damals, als Sie in Moskau zurückblieben?« fragte die Fürstin Marie.
»Nein«, erwiderte Peter, »ich erfuhr das in Orel, und Sie können sich nicht vorstellen, wie es mich erschütterte. Wir paßten nicht
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