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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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einen Teil der Schulden zu bezahlen, den er für wirkliche Schulden erkannte, aber um wegen der übrigen Schulden nicht ins Gefängnis zu kommen, womit ihm die Gläubiger drohten, trat er in den Staatsdienst.
    Es war nicht daran zu denken, wieder in die Armee einzutreten, wo er bei der ersten Vakanz Regimentskommandeur geworden wäre, weil seine Mutter sich an den Sohn als ihre letzte Lebenshoffnung anklammerte. Ungeachtet seines Widerwillens, in Moskau zu bleiben, im Kreis der Leute, die ihn früher gekannt hatten, und ungeachtet seines Abscheus vor dem Zivildienst, nahm er in Moskau eine Stelle an, zog die geliebte Uniform aus und bezog mit seiner Mutter und Sonja eine kleine Wohnung.
    Natalie und Peter lebten in Petersburg und hatten keinen klaren Begriff von der Lage Nikolais. Diese wurde besonders dadurch erschwert, daß er von seinen zwölfhundert Rubeln Gehalt nicht nur sich selbst, Sonja und die Mutter ernähren sollte, sondern auch noch viele andere Ausgaben machen mußte, weil er seine Mutter die Armut nicht bemerken lassen wollte. Sie war an Luxus gewöhnt, verlangte bald eine Equipage, bald eine neue Speise und Wein, bald Geld, um Natalie, Sonja und ihrem Sohn selbst eine Überraschung zu kaufen.
    Sonja führte die Haushaltung, pflegte die Tante, las ihr vor und ertrug ihre Launen und ihre versteckte Abneigung. Nikolai fühlte sich ihr tief verschuldet für alles, was sie für seine Mutter tat, er rühmte ihre Geduld und Ergebenheit, bemühte sich aber, sich von ihr fernzuhalten.
    Es war ihm peinlich, daß sie so vollkommen war, daß er ihr nichts vorwerfen konnte, und je mehr er sie schätzte, desto weniger liebte er sie. Er hatte sie beim Wort genommen, als sie durch ihren Brief ihm die volle Freiheit wiedergab, und jetzt war sein Verhalten gegen sie so, als ob alles, was zwischen ihnen einst vorgefallen war, längst vergessen sei und sich nie wiederholen könne. Nikolais Lage verschlimmerte sich immer mehr und mehr, die Hoffnung, daß er von seinem Gehalt etwas ersparen könne, erwies sich als trügerisch, er hatte sogar zur Befriedigung der Wünsche seiner Mutter noch kleine Schulden gemacht. Nirgends zeigte sich ihm ein Ausweg. Der Gedanke an eine reiche Heirat, die ihm seine Verwandten vorschlugen, war ihm widerlich. Er wünschte nichts und hoffte nichts, in seinem Innern empfand er eine finstere Befriedigung darüber, daß er seine Lage ohne Murren ertrug. Er vermied seine früheren Bekannten mit ihren beleidigenden Hilfeanerbietungen, sowie alle Zerstreuungen und beschäftigte sich auch zu Hause nur damit, mit seiner Mutter Karten zu legen oder rauchend im Zimmer auf und ab zu gehen.
2.
    Zu Anfang des Winters kam die Fürstin Marie nach Moskau. Durch Stadtgespräche erfuhr sie die Lage, in der sich Rostows befanden, und wie der Sohn sich für die Mutter aufopferte, wie man in der Stadt sagte. »Ich habe nichts anderes von ihm erwartet«, sagte die Fürstin Marie zu sich selbst. Bei ihren freundschaftlichen, fast verwandtschaftlichen Beziehungen zur ganzen Familie hielt sie sich für verpflichtet, einen Besuch zu machen, zögerte jedoch längere Zeit. Einige Wochen nach ihrer Ankunft aber erschien sie bei Rostows.
    Nikolai kam ihr zuerst entgegen, da man zur Gräfin nur durch sein Zimmer kommen konnte. Beim ersten Blick, den er ihr zuwandte, bemerkte sie anstatt des erwarteten Ausdrucks der Freude nur kalte Zurückhaltung. Nikolai fragte nach ihrem Befinden, begleitete sie zu seiner Mutter und verließ nach fünf Minuten wieder das Zimmer. Als die Fürstin die Gräfin verließ, fand sie wieder Nikolai, der sie besonders feierlich und kühl bis ins Vorzimmer begleitete. Er antwortete kein Wort auf ihre Bemerkung über die Gesundheit der Gräfin. »Was geht es Sie an? Lassen Sie mich in Ruhe!« sagte sein Blick. »Was schleppt sie sich hierher? Ich kann diese Damen mit all ihren Liebenswürdigkeiten nicht ausstehen«, sagte er laut zu Sonja, als der Wagen der Fürstin abgefahren war.
    »Ach, wie kann man so reden, Nikolai!« erwiderte Sonja, die ihre Freude kaum verbergen konnte. »Sie ist so gut, und Mama liebt sie so sehr.«
    Nikolai gab keine Antwort, aber seit diesem Besuch sprach die alte Gräfin jeden Tag mehrmals von ihr, lobte sie und verlangte, Nikolai solle ihr einen Besuch machen. Nikolai schwieg, wenn seine Mutter von der Fürstin sprach, aber dieses Schweigen reizte die Gräfin.
    »Sie ist ein sehr ehrenwertes, vortreffliches Mädchen«, sagte sie, »und du mußt bei ihr einen Besuch

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