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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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verwunderte sich, als sie hörte, daß Peter nach Petersburg reisen wolle. »Nach Petersburg?« wiederholte sie. Beim Anblick der kummervollen Miene Maries erriet sie die Veranlassung dieser Betrübnis und brach in Tränen aus. »Marie«, sagte sie, »was soll ich tun? Ich fürchte schlecht zu handeln, was du sagst, werde ich tun, rate mir!«
    »Du liebst ihn?«
    »Ja«, flüsterte Natalie.
    »Warum weinst du dann? Ich freue mich für dich!« sagte Marie, welche Natalie für diese Tränen ihre Freude verzieh.
    »Es wird nicht schnell sein, später einmal! Aber bedenke, welches Glück, wenn ich seine Frau sein werde, und du Nikolai heiratest!«
    »Natalie, ich habe dich gebeten, nicht davon zu sprechen.«
    Sie schwiegen.
    »Aber warum nach Petersburg?« fragte Natalie plötzlich und antwortete selber hastig darauf: »Nein, nein, es mußte so sein! Nicht wahr, Marie?«

Epilog
1
    Die Hochzeit Natalies, die im Jahre 1813 Besuchow heiratete, war das letzte freudige Ereignis für die Familie des alten Grafen Rostow. Dieser starb in demselben Jahre, und die alte Gräfin wurde nach seinem Tode sehr hinfällig.
    Die Ereignisse des letzten Jahres, die Flucht aus dem brennenden Moskau, der Tod des Fürsten Andree, die Verzweiflung Natalies, der Tod des kleinen Petja, der Kummer der Gräfin – alles das traf Schlag auf Schlag das Haupt des alten Grafen. Er schien nicht imstande zu sein, die Bedeutung aller dieser Ereignisse zu begreifen. Bald war er erschrocken und kleinmütig, bald unnatürlich lebhaft und unternehmend. Die Hochzeit Natalies nahm ihn sehr in Anspruch, er arrangierte Diners und Abendgesellschaften und suchte heiter zu erscheinen, aber seine Heiterkeit erregte nur Mitleid bei denen, die ihn kannten und liebten. Nach der Abreise Peters mit seiner Frau wurde er still und klagte über Kummer, wenige Tage darauf erkrankte er und legte sich zu Bett. Trotz der tröstlichen Versicherungen der Ärzte begriff er schon am ersten Tage, daß er nicht mehr aufstehen werde. Die Gräfin brachte zwei Wochen, ohne sich zu entkleiden, an seinem Bett zu. So oft sie ihm Medizin reichte, küßte er schluchzend ihre Hand. Am letzten Tage bat er seine Frau und seinen abwesenden Sohn weinend um Verzeihung wegen der Vernichtung seines Vermögens. Nachdem er das Abendmahl genommen, starb er ruhig, und am anderen Tage erfüllte eine Menge von Bekannten die Mietswohnung des Grafen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Alle diese Bekannten, die so oft bei ihm gespeist und getanzt und so oft über ihn gelacht hatten, wiederholten jetzt einstimmig mit tiefer Rührung: »Wie er auch war, er war ein vortrefflicher Mensch! Solche Leute findet man heutzutage nicht mehr ... Und wer hat nicht seine Schwächen ...?« Gerade zu der Zeit, wo die Umstände des Grafen so zerrüttet waren, daß man sich nicht vorstellen konnte, wie das enden würde, wenn es noch ein Jahr dauerte, starb er unerwartet.
    Nikolai war mit dem russischen Heere in Paris, als er die Nachricht vom Tode des Vaters erhielt. Sogleich reichte er seinen Abschied ein, und ohne ihn abzuwarten, nahm er Urlaub und reiste nach Moskau. Einen Monat nach dem Tode des Grafen hatten sich die Vermögensverhältnisse vollständig geklärt. Jedermann war erstaunt über die Ungeheuerlichkeit der Summe verschiedener kleiner Schulden, von denen niemand eine Ahnung gehabt hatte. Es waren doppelt so viele Schulden als Vermögen vorhanden.
    Verwandte und Freunde rieten Nikolai, auf die Erbschaft zu verzichten, aber Nikolai wollte nichts davon hören, weil er darin einen Vorwurf für das ihm heilige Andenken seines Vaters sah, und übernahm die Erbschaft und die Verpflichtung, die Schulden zu bezahlen. Die Gläubiger, die so lange geschwiegen hatten unter dem unbestimmten, aber mächtigen Einfluß seines gutmütigen Wesens, reichten plötzlich fast alle Klagen ein, selbst solche Leute wie Mitenka und andere, die Wechsel als Geschenk erhalten hatten, waren jetzt die ungestümsten Gläubiger.
    Man ließ Nikolai keine Zeit und keine Ruhe, und diejenigen, welche den Alten bemitleideten, der ihre Interessen geschädigt hatte, stürzten sich jetzt rücksichtslos auf den unschuldigen Erben, der es freiwillig übernommen hatte, für Zahlung zu sorgen. Keine von Nikolai beabsichtigte Operation gelang, das Gut wurde unter dem Hammer verkauft für die Hälfte des Wertes und dennoch blieb die Hälfte der Schulden unbezahlt. Nikolai nahm die ihm von seinem Schwager Besuchow angebotenen dreißigtausend Rubel an, um

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