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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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National Geographic ebenso wie die Zuschauer ihrer Fernsehsendungen ein ganzes Jahrzehnt hindurch mit Geschichten über den sanften weisen David Greybeard, die pfiffige Flo, den spitzbübischen Mike und deren Schimpansenfreunde ergötzt. Nun waren Schimpansen als Mörder entlarvt.
    Es sollte noch schlimmer kommen. Im Verlauf der kommenden drei Jahre erschlugen die Kasakela-Schimpansen alle sechs Männchen und ein Weibchen der Kahama-Gemeinschaft. Zwei weitere Kahama-Weibchen wurden vermisst, man ging davon aus, dass sie ebenfalls tot waren, drei weitere schlossen sich, geprügelt und vergewaltigt, der Kasakela-Gruppe an. Am Ende nahmen die Kasakela-Schimpansen das Kahama-Gebiet in ihren Besitz. Godis Tod war der Auftakt zu einem regelrechten Vernichtungskrieg gewesen.
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    Abbildung 6.1Die Wiege des Krieges
    Orte in Afrika, die in diesem Kapitel eine Rolle spielen

    Die Nachricht von diesem Krieg am Gombe erschütterte die Welt der Primatenforscher. Die Tragweite war unabsehbar. Wir Menschen haben mit Schimpansen mehr als 98 Prozent unseres Genoms gemein. Wenn sich zwei nahe verwandte Arten auf dieselbe Weise verhalten, stehen die Chancen gut, dass sie dieses Merkmal von einem gemeinsamen Vorfahren geerbt haben. Da wir nur 7,5 Millionen Jahre (das ist für einen Evolutionsbiologeneine recht kurze Zeitspanne) zurückgehen müssen, um auf den letzten gemeinsamen Vorfahren von Schimpanse und Mensch zu stoßen, scheint die Schlussfolgerung, wir Menschen hätten von Natur aus einen Hang zur Gewalt, auf der Hand zu liegen.
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    Abbildung 6.2: Killeraffen?
    Vier Schimpansen (links) terrorisieren, bedrohen und bedrängen einen fünften (rechts) im Primatengehege des Zoos von Arnheim in den Niederlanden (aufgenommen Ende der 1970er Jahre).

    Die 1970er Jahre waren das Goldene Zeitalter der Coming-of-Age -Forschung, und da verwundert es nicht sonderlich, dass dieser Befund nicht bei jedermann übermäßig gut ankam. Manche Forscher gaben der Überbringerin der Botschaft die Schuld. Goodall, so erklärten sie, habe die Schimpansen mit Bananen gefüttert, weil sie sie an die Anwesenheit von Menschen gewöhnen wollte, und die Konkurrenz um dieses nahrhafte Futter, so die Kritiker, habe die von Natur aus friedfertige Gesellschaft der Schimpansen verdorben und gewalttätig werden lassen.
    Die anschließende Debatte verlief nicht minder erbittert als die über Napoleon Chagnons Berichte von den kriegerischen Yanomami, über die ich in Kapitel 1 erzählt habe, nur musste Goodall nicht so lange warten wie Chagnon, bis sie recht bekam. In den 1970er und 1980er Jahren eilten Dutzende anderer Wissenschaftler in den afrikanischen Regenwald, um unter Menschenaffen zu leben. Mit neuen, immer raffinierteren und diskreteren Beobachtungsmethoden konnten sie zeigen, dass Schimpansenimmer Kriege führten, egal, ob sie von Menschen gefüttert wurden oder nicht. *31
    Von der Elfenbeinküste bis nach Uganda patrouillieren männliche Schimpansengangs entlang der Grenzen ihrer Territorien, jagen systematisch nach fremden Artgenossen und fallen über diese her. Sie bewegen sich lautlos und gezielt, nehmen sich nicht einmal Zeit, zwischendurch zu essen. Die jüngste Studie aus Uganda hat mit Hilfe von GPS-Systemen in den Jahren 1999 bis 2008 Dutzende von Angriffen und 21 Morde seitens der dort ansässigen Ngogo-Schimpansengemeinschaft registriert, die schließlich mit der Annektierung eines benachbarten Territoriums endeten.
    Die einzigen Waffen der Schimpansen sind Fäuste, Zähne, gelegentlich mal ein Stein oder Ast, aber sogar ein betagter Schimpanse kann härter zuschlagen als ein Schwergewichtsboxer, und die rasierklingenscharfen Eckzähne können bis zu zehn Zentimeter lang werden. Wenn sie auf einen Feind treffen, kämpfen sie einen Kampf auf Leben und Tod, beißen einander Finger und Zehen ab, brechen Knochen, zerfleischen einander das Antlitz. Einmal mussten Primatologen voller Entsetzen mit ansehen, wie Angreifer ihrem Opfer die Kehle zerfetzten und die Luftröhre herausrissen.
    Der Herr der Fliegen hat demnach offenbar recht: Das Tier ist Teil von uns, von ganz innen, innen, innen. Für uns kommt Totschlag vor Palaver, weil wir von Natur aus geborene Killer sind. Aber wie es in der Wissenschaft nun mal so ist, stellte sich rasch heraus, dass die Dinge ein bisschen komplizierter lagen. Als ich die Herr-der-Fliegen -Theorie in Kapitel 1 aufstellte, musste ich prompt hinzufügen, dass eine Reise zu einer

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