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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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mit gezückten Schwertern am Mons Graupius aufeinander loszugehen, hätten Agricola und Calgacus sich auch ihre Togen vom Leib reißen und miteinander Sex haben können.
    Die Antwort auf die Frage, warum es im Jahre des Herrn 83 zu Totschlag statt zu Palaver gekommen ist, wird uns lehren, warum wir nach 10   000Jahren voller Entscheidungen gegen das Wort und für das Schwert am Ende des 20. Jahrhunderts nicht hingegangen sind und die Welt in die Luft gejagt haben, und sie wird uns Wege weisen, die gute Arbeit im 21. Jahrhundert fortzuführen. Aber das ist eine lange Geschichte – 3,9 Milliarden Jahre lang, um es genau zu sagen.
Das Spiel des Todes
    Am Anfang waren Tröpfchen.
    So zumindest nennen Biologen sie manchmal: Ansammlungen kurzkettiger Moleküle auf Kohlenstoffbasis, von primitiven Membranen zusammengehalten. Vor 3,9 Milliarden Jahren ließen chemische Reaktionen einfache Proteine und Nukleinsäuren entstehen, die alsbald durch Lipidschichten von der Außenwelt abgeschlossen wurden. Die Tröpfchen wuchsen, indem sie chemische Substanzen aus dem sie umgebenden Milieu aufnahmen, und sobald sie für ihre Membranen zu groß geworden waren, teilten sie sich. Jedes Mal, wenn sich ein Tröpfchen in zwei teilte, wussten seine Bestandteile, wie sie sich zu einem neuen Tröpfchen zusammenzufinden hatten, denn der Grundbauplan für das Tröpfchensein war in einer Nukleinsäure festgeschrieben – der Ribonukleinsäure oder RNA –, die den anderen Molekülen sagte, was zu tun war. So unspektakulär es sich anhören mag, dies war der Beginn des Lebens.
    Darwin definierte Evolution als »Abstammung mit Modifikationen«. 1 RNA (Ribonukleinsäure oder, bei komplexeren Lebensformen, wie wir selbst es sind, DNA – Desoxyribonukleinsäure) kopiert den genetischen Code fast, aber eben nicht ganz genau und lässt ein gewisses Maß an zufälligen Genmutationen zu. Die meisten davon waren für die Tröpfchen mehr oder minder belanglos, ein paar erwiesen sich als katastrophal und ließen sie auseinanderfallen (brachten sie um, würden wir vielleicht sagen), wieder andere verhalfen ihnen zu effizienterer Replikation. Mit der Zeit – sehr viel Zeit – hängten die effizienteren Tröpfchen die weniger effizienten ab. Die Evolution ist das vielleicht einzige Geschehnis der Weltgeschichte, das sogar noch paradoxer ist als Krieg. Die natürliche Selektion ist ein Wettstreit, in dem der größte Lohn an Kooperation geht, die – um eine extrem lange Geschichte kurz zu machen – in die Evolution von immer komplexeren Lebensformen auf Kohlenstoffbasis gemündet hat, die auf höchst außergewöhnliche Weisen miteinander kooperieren und konkurrieren.
    Viele Millionen Jahre zufälliger genetischer Variationen ließen Tröpfchen entstehen, die gut genug kooperieren konnten, um Zellen zu bilden (noch raffiniertere Ansammlungen von Molekülen auf Kohlenstoffbasis, die sich um DNA-Stränge anlagern). Zellen stachen die Tröpfchen im Energiewettlauf – der effizienten Nutzung von Energie – aus, und vor 1,5 Milliarden Jahren waren sie ganz hübsch komplex geworden. Die davor liegenden zwei Milliarden Jahre hatte sich alles Leben durch Klonierung fortgepflanzt, und die einzige Quelle von Veränderungen hatte dabei in Fehlern beim Kopieren der genetischen Vorlagen bestanden. Die neuen Zellen aber waren imstande, die Information auf ihren DNA-Molekülen miteinander zu teilen – möglich war dies durch die Erfindung der sexuellen Fortpflanzung geworden. Sex hat die Variabilität des genetischen Pools dramatisch erhöht und die Evolution auf Hochtouren gebracht. Vor 600 Millionen Jahren war die kooperative Nutzung von Erbinformationen derart effizient geworden, dass Zellen sich zu Millionen zusammentun und vielzellige Organismen bilden konnten (unser eigener Körper besteht aus 100 Billionen Zellen).
    Die Zellen in diesen Organismen – Tieren – kooperierten, indem sie unterschiedliche Funktionen übernahmen. Einige wurden zu Kiemen, andere zu Mägen, die Energie auf neuartige Weise zu nutzen wussten, wieder andere zu Blut, das diese Energie im Körper transportierte. Noch andere bildeten Schalen und Panzer, Bindegewebe und Knochen. Vor 400 Millionen Jahren wandelten sich die Kiemen einiger Fische zu Lungen, ihre Flossen wurden zu Füßen, und sie gingen an Land.
    Die Zellen in Flossen und Füßen verwickelten sich nicht in einen Wettstreit mit denen in Knochen und Mägen, sondern arbeiteten in dem Geschöpf, dem sie angehörten, zusammen,

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