Krieg – Wozu er gut ist
die Kolonien in Afrika, Asien und Ozeanien mit mehr Gewalt geschlagen waren als die antiken Reiche, aber weniger gewalttätig als Eurasien zur Zeit der Völkerwanderungen aus der Steppe.
Was Calgacus über Roms Eroberungskriege gesagt hatte, traf auch auf die Europas zu: Beide hinterließen verbrannte Erde. Aber andererseits treffen auch Ciceros Einsichten über das Römische Reich auf Europa zu: Beidevereinten ihre Untertanen letztlich zu einem größeren Wirtschaftssystem, das diese in den meisten Fällen besser dastehen ließ. Es ist schwer, dem Wirtschaftswissenschaftler Daron Acemoglu und dem Politikwissenschaftler James A. Robinson zu widersprechen, wenn sie in ihrem jüngst erschienenen Buch Warum Nationen scheitern erklären, dass die reichen Erträge der europäischen Kolonialreiche in vielen Fällen in der Zerstörung unabhängiger politischer Systeme und indigener Kulturen wurzelten. Dennoch ist das ein Zusammenhang, den Ökonomen häufig als kreative Zerstörung bezeichnen. Wo nach 1870 neue Wirtschaftssysteme die alten ersetzten, stiegen Einkommen und Produktivität nahezu überall auf der Welt. Sicher gab es Ausnahmen (wieder kommt einem sofort der Kongo in den Sinn), und die Profite flossen größtenteils an die Herrscher der neuen Weltordnung, aber gegen Ende des 19. Jahrhunderts ließ sich sagen, dass der Fünfhundertjährige Krieg die Welt zunehmend reicher und sicherer machte denn je.
Im August 1898 zog Nikolaus II., Zar von Russland, daraus scheinbar naheliegende Schlussfolgerungen und befahl seinem Außenminister, den Würdenträgern, die um seinen Hof herumscharwenzelten, eine beispiellose Mitteilung zu machen, in der es hieß: »Die Erhaltung des allgemeinen Friedens und eine mögliche Reduzierung der übermäßigen Rüstung, die heute alle Nationen belastet, sind … Ideale, die von allen Regierungen angestrebt werden sollten.« Daher schlug Nikolaus – als »ein glückliches Vorzeichen des kommenden Jahrhunderts« – eine internationale Konferenz vor, um über eine Beendigung der Kriege und eine umfangreiche Abrüstung zu diskutieren. 80
Allgemein herrschte Begeisterung. Bertha Baronin von Suttner, Autorin des internationalen Bestsellers Die Waffen nieder! (der zu Tolstois Lieblingsbüchern zählte), die kurze Zeit später als erste Frau den Friedensnobelpreis erhielt, bezeichnete Nikolaus als »neuen Stern am Himmel der Kultur«. 81 Und so kamen 1899 – am Geburtstag des Zaren – 130 Diplomaten in einem Waldschloss nahe Den Haag, der Hauptstadt der hartnäckig neutralen Niederlande, zusammen, um alles auszuarbeiten.
Nachdem sie zwei Monate lang Beschlüsse gefasst, diniert und getanzt hatten, brachten sie eine Reihe von Vereinbarungen zustande, die zwar nicht die Kriege beenden, aber doch zumindest ihrer Barbarei Grenzen setzen sollten. Zudem waren sie sich einig, dass eine weitere Konferenz erforderlich sei. Diese fand denn auch 1907 in derselben angenehmen Umgebung statt und war ein solcher Erfolg, dass alle den festen Plan fassten, sich dort ein drittes Mal zu treffen: 1914.
Kapitel 6
Die Stimme der Natur
Warum die Schimpansen vom Gombe in den Krieg zogen
Killeraffen und Hippieschimpansen
7. Januar 1974
Am frühen Nachmittag schlüpfte ein Kriegstrupp aus dem Kasakela-Gebiet ungesehen über die Grenze zum Kahama-Territorium. Acht Angreifer waren es, die leise und zielstrebig vorwärts drangen. Als Godi von den Kahamas sie erblickte, war es bereits zu spät.
Er sprang von dem Baum, auf dem er Früchte gegessen hatte, und rannte los, aber die Angreifer fielen über ihn her. Einer drückte sein Gesicht fest in den Schlamm, die anderen prügelten, vor Erregung kreischend, volle zehn Minuten auf ihn ein und schlugen ihm ihre scharfen Eckzähne ins Fleisch. Schließlich bewarfen sie ihn mit Steinen, dann zog der Trupp tiefer in den Wald.
Godi war noch nicht tot, blutete aber heftig aus Dutzenden klaffender Schnitt- und Bisswunden im Gesicht, an Brustkorb, Armen und Beinen. Ein paar Minuten blieb er vor Schmerzen heulend liegen, dann kletterte er in die Baumwipfel und ward nie mehr gesehen.
Es war das erste Mal, dass Wissenschaftler mit ansehen mussten, wie Schimpansen aus einer Gemeinschaft den Angehörigen einer anderen vorsätzlich aufgespürt, angegriffen und todgeweiht seinem Schicksal überlassen hatten. Jane Goodall hatte 1960 am Gombe-Strom in Tansania den Grundstein für das weltweit erste Projekt zur Verhaltensforschung an wilden Schimpansen gelegt und die Leser von
Weitere Kostenlose Bücher