Krieg – Wozu er gut ist
anderen Tropeninsel – nach Samoa – die Dinge in eine völlig andere Perspektive rückte. Margret Meads Beobachtungen dort schienen keinen anderen Schluss zuzulassen, als dass sie in einem Pazifikparadies gelandet war, in dem die Gewalt nur selten ihr hässliches Haupt erhob. Und wenn man einen Sprung von knapp tausend Kilometern auf die andere Seite des mächtigen Kongoflusses zu einem weiteren Fleckchen Regenwald namens Wamba macht, muss man den Eindruck haben, als seien wir Alice hinter die Spiegel in ein Wunderland gefolgt.
Am 21. Dezember 1986 saß der Primatenforscher Gen’ichi Idani am Saum einer Lichtung. Er wartete auf eine Gruppe Menschenaffen, die erbeim Vorüberziehen beobachten wollte, aber zu seinem Erstaunen tauchte nicht eine Gruppe auf, sondern zwei gleichzeitig. Wäre Idani am Gombe gewesen, hätten sich die Dinge innerhalb der nächsten paar Minuten womöglich ziemlich schauerlich entwickelt. Zwischen den Gruppen wären drohende Huuh-Laute hin- und hergegangen, gefolgt von Scheinangriffen und wildem Gefuchtel mit dicken Ästen. Unter ungünstigen Umständen wäre es zu einem Kampf auf Leben und Tod gekommen.
Doch in Wamba geschah nichts dergleichen. Die beiden Gruppen ließen sich in ein paar Metern Entfernung voneinander nieder und beäugten sich gegenseitig. Nach einer halben Stunde erhob sich ein Weibchen aus der P-Gruppe, wie die Wissenschaftler sie genannt hatten, und spazierte gemächlich über die offene Fläche auf ein Weibchen der E-Gruppe zu. Einen Augenblick lang geschah nichts, dann legten sich die beiden Frauen auf den Boden, die Gesichter einander zugewandt. Beide machten die Beine breit und pressten ihre Genitalien aufeinander. Sie fingen an, zunächst langsame, dann immer schneller werdende Hüftbewegungen zu vollführen und rieben vor Behagen grunzend ihre Klitorides aneinander. Nach wenigen Minuten keuchten beide, kreischten und erlebten, fest umklammert, ganz offensichtlich einen Orgasmus. Einen spannungsgeladenen Augenblick waren beide ganz still, starrten einander regungslos in die Augen, dann ließen sie erschöpft voneinander ab.
An diesem Punkt hatten sich die beiden Gruppen einander angenähert. Fast alle Affen teilten mit anderen ihre Nahrung, betrieben Fellpflege oder hatten Sex miteinander – Männchen und Weibchen, Weibchen und Weibchen, Männchen und Männchen, Jung und Alt, Hände, Münder und Genitalien unterschiedslos im Einsatz. Love not war! (Abbildung 6.3).
Im Verlauf der folgenden zwei Monate beobachteten Idani und seine Mitstreiter das P- und E-Gruppen-Szenario etwa dreißig Mal. Nicht ein einziges Mal wurden sie Zeuge von Szenen, die mit der Gewalt unter den Gombe-Schimpansen vergleichbar gewesen wären – aus dem einen einleuchtenden Grund, dass die Affen von Wamba keine Schimpansen waren. Jedenfalls nicht dieselbe Art von Schimpansen. Streng zoologisch betrachtet waren die Wamba-Hippies Zwergschimpansen ( Pan paniscus ), während es sich bei den Gombe-Kriegern um Gemeine Schimpansen ( Pan troglodytes ) handelte.
Für das ungeübte Auge sind die beiden Arten nahezu ununterscheidbar, und auch die Primatologen haben Pan paniscus erst 1928 als eigene Art beschrieben. Zwergschimpansen sind ein bisschen kleiner, haben etwas längere und dünnere Arme und Beine, kleinere Münder und Zähne, die Gesichter sind ein bisschen dunkler, und das Fell ist in der Mitte »gescheitelt«. Die Unterschiede im Verhalten der beiden Arten aber können uns helfen, die fundamentale Frage zu beantworten, wozu Krieg gut ist und wie es mit der Menschheit im 21. Jahrhundert weitergehen wird.
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Abbildung 6.3Hippieschimpansen
Zwei Bonobofrauen im Zoo von San Diego bei dem, was Wissenschaftler als genito-genitalen Sexualkontakt bezeichnen.
Zwergschimpansen – um Verwechslungen vorzubeugen bezeichnen Wissenschaftler sie in der Regel als Bonobos, Journalisten gerne auch als Hippieschimpansen – und gewöhnliche Schimpansen (in der Regel ohne weiteres charakterisierendes Adjektiv nur Schimpansen genannt), verfügen über nahezu identische Erbinformationen und sind erst vor 1,3 Millionen Jahren aus einem gemeinsamen Vorfahren hervorgegangen. Es mag überraschen, dass beide Affenarten vom Menschen in genetischer Hinsicht ungefähr gleich weit entfernt sind. Während Schimpansenkriege die Vermutung nahelegen, dass Menschen geborene Killer sein könnten, lassen die Bonobo-Orgien annehmen, wir könnten von Natur aus durchaus auch geborene Liebende sein. Statt
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