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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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zweierlei aufzeigen: erstens, dass die Antwort auf beide Fragen nein lautet; und zweitens, dass eben dieses zweifache Nein die beiden Fragen so interessant macht. Während wir unsere Untersuchung über den Mittelmeerraum hinaus auf den Rest der Welt ausweiten, beginnt sich die wirkliche Erklärung dafür abzuzeichnen, wie die Römer nach Rom kamen, und damit auch der Schlüssel zum Verständnis dafür, warum der Krieg für einiges gut sein kann.
Das Zeitalter der Imperien
    Ich möchte mit der zweiten meiner Fragen beginnen: Waren große, sichere und wohlhabende Gesellschaften eine westliche Eigenheit?
    Ich habe Ihnen die Antwort darauf bereits verraten: nein. Das zeigt uns ein Blick auf eine Karte (Abbildung 2.2). In den zwei oder drei Jahrhunderten nach der Schlacht von Plataiai tauchten überall in der Alten Welt, vom Mittelmeer bis China, recht ähnlich geartete Imperien auf. Alle waren sie groß, befriedet, stabil und wohlhabend. Auf der anderen Seite des Ozeans beherrschten ähnliche – kleinere, aber nichtsdestoweniger imposante – Staaten Teile Mittelamerikas und der Anden.
    Auf ihrem Höhepunkt umfassten die größten dieser Reiche – das Römische im Westen, der Han-Staat auf dem Gebiet des heutigen China und das Maurya-Reich auf dem indischen Subkontinent – jeweils etwa vier bis fünf Millionen Quadratkilometer mit zwischen dreißig und sechzig Millionen Bewohnern, und alle machten sie aus ihren Schwertern Pflugscharen (na,jedenfalls größtenteils). In jedem dieser Reiche ging die durch Gewalttaten bedingte Sterblichkeit jäh zurück, und die Menschen wussten ihre Pflugscharen so gut einzusetzen, dass es zu einem goldenen Zeitalter relativen Friedens und Wohlstands kam.
    [Bild vergrößern]
    Abbildung 2.2Die antiken Imperien
    Das Maurya-Reich um 250 v.   Chr., das Römische Reich, das Partherreich und die Han-Dynastie um 100 n.   Chr., die Moche-Kultur und Teotihuacán um 300 n.   Chr.

    Im Großen und Ganzen wissen wir weniger über das Han- und das Maurya-Reich als über das Römische und noch weniger über die Staatsgebilde der Neuen Welt. Was die Amerikas anbelangt, ist die Knappheit an Belegen so akut, dass Spezialisten sich noch nicht einmal darauf einigen können, wo dort Leviathan zum ersten Mal das Haupt hob. Einige Archäologen sehen die Pioniere in der olmekischen Kultur an der Golfküste Mexikos (etwa 1200 v.   Chr.) und in Chavín de Huántar (ca. 1000 v.   Chr.) in Peru. Der Lehrmeinung nach jedoch sollte es noch tausend Jahre dauern, genauer gesagt bis zur Moche-Kultur in Peru und den Stadtstaaten Monte Albán und Teotihuacán in Mexiko, bis Amerikas erste funktionierende Regierungen auftauchten, die ihren Willen über Tausende von Quadratkilometern hinweg einer Bevölkerung von mehreren Millionen aufzwangen. Sie erbauten großartige Monumente, richteten komplexe Handelsnetze einund sorgten für einen höheren Lebensstandard, blieben aber schriftlose Kulturen.
    Für Historiker ist das ein Albtraum. Selbst wenn die Archäologie höchstmögliche Standards erreicht, bleibt das, was sie uns über Leviathan zu sagen vermag, begrenzt. Vielleicht bedeuten die in Teotihuacán gefundenen Menschenopfer ja, dass diese Kultur gewalttätiger war als die Reiche der Alten Welt, aber da die Römer in Scharen zusammenströmten, um Gladiatoren dabei zuzuschauen, wie sie einander in Stücke hackten (man hat jede Menge zerstückelte Leichen ausgegraben), kann das nicht sein. Die sechzig Toten, die man in einem Königsgrab des Andenreichs der Wari gefunden und auf etwa 800 n.   Chr. datiert hat – lange nachdem die Reiche der Alten Welt solche Praktiken aufgegeben hatten –, könnten ebenfalls auf ein höheres Gewaltniveau in der Neuen Welt im Vergleich zur Alten hindeuten, aber wenn wir der Sache auf den Grund gehen, erlaubt die magere Beweislage einfach keine systematischen Vergleiche. Was wir wirklich bräuchten, ist ein mesoamerikanischer Tacitus, der uns sagen könnte, wie das nun alles so war.
    Der Umstand jedoch, dass wir keinen Tacitus haben und wir mit einiger Sicherheit nie dergleichen Aufzeichnungen finden werden, ist an sich schon aufschlussreich. Es scheint eine Art Daumenregel zu geben, dass Leviathan den Historikern und Archäologen umso mehr Belege hinterlässt, je stärker er wird, da es in großen Staaten eine Menge zu bauen und noch mehr aufzuzeichnen gilt. Das Fehlen von Aufzeichnungen bedeutet wahrscheinlich, dass die Leviathane der Neuen Welt nicht auf einem Niveau regierten,

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