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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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Mardonius’ große Chance. Er selbst führt seine besten Leute in einem Frontalangriff gegen das spartanische Kontingent, das – abgeschnitten vom Rest der Griechen – vor einem steilen Grat stand. Binnen weniger Augenblicke hatten auch die übrigen Perser ihre Reihen verlassen, waren vorwärtsgestürmt und hatten die zahlenmäßig hoffnungslos unterlegenen Spartaner überrannt. Herodot, der griechische Geschichtsschreiber aus dem 5. Jahrhundert, berichtet, was als Nächstes geschah:
    »An Feuer nun und Stärke standen die Perser nicht nach; aber ungewappnet waren sie, und dazu fehlte es ihnen an Geschick und kamen ihren Gegnern nicht gleich an Kunst. So sprangen sie hervor einzeln oder zu zehn, oder mehr oder minder auf einen Haufen, stürzten unter die Spartiaten und wurden niedergemacht.
    Da nun, wo Mardonius selber stand, der von einem weißen Rosse kämpfte, und um sich hatte die Auserlesenen der Perser, die tausend Besten, da fielen sie auch den Gegnern am meisten hart. Und so lange Mardonius noch am Leben war, widerstanden sie, wehrten sich dort und warfen viele Lacedämonier. Wie aber Mardonius blieb und der Schlachthaufen um ihn, der Kern des Heeres, fiel, da erlagen denn auch die Uebrigen und wichen den Lacedämoniern.« 1
    Die grause Wahrheit, so schloss Herodot an anderer Stelle, war, dass auf der Seite der Perser »viel Menschen seyen, aber wenig Männer«. 2
    Dies, so meint der Militärhistoriker Victor Davis Hanson, sei der Schlüssel zu zwei konträren Stilen der Kriegführung, die die gesamte nachfolgende Geschichte bestimmten. »Während der letzten 2   500 Jahre«, so führt Hansonaus, »gab es eine ganz eigentümliche Praxis westlicher Kriegführung, eine gemeinsame Grundlage und sich durchhaltende Art zu kämpfen, die die Europäer zu den tödlichsten Soldaten in der Geschichte des Kampfes gemacht hat.« 3
    [Bild vergrößern]
    Abbildung 2.1Richtige Soldaten
    Ein schwer gepanzerter griechischer Infanterist spießt einen unbewehrten persischen Soldaten auf. Athenische Rotfigurenvase von etwa 470 v.   Chr.

    Hanson bezeichnet diese ganz eigentümliche Praxis als die westliche Art der Kriegführung. Erfunden hätten sie, so schreibt er, die Griechen, die zwischen 700 und 500 v.   Chr. ihre Differenzen durch den frontalen Aufeinanderprall zwischen Phalangen gepanzerter Lanzenträger (Abbildung 2.1) auszutragen begannen. »Es ist diese westliche Vorliebe für einen einzigen großartigen Zusammenstoß von Infanterie«, schließt Hanson, »für das brutale Töten mit Blankwaffen auf einem Schlachtfeld zwischen freien Männern, das unsere Gegner aus der nichtwestlichen Welt seit über 2   500 Jahren ebenso verwirrt wie entsetzt.« 4
    John Keegan, der große alte (und mittlerweile verstorbene) Mann unter den Militärhistorikern des 20. Jahrhunderts, ging noch einen Schritt weiter. Seit Herodots Tagen, so Keegan, lasse sich »eine Grenzlinie zwischen dieser [der westlichen] Kampftradition und dem indirekten, ausweichenden und zurückhaltenden Kampfstil ziehen, der für die Steppen des Nahen und Mittleren Ostens charakteristisch ist: Östlich der Steppe und südöstlich des Schwarzen Meeres hielten die Krieger Abstand zu ihren Feinden. Westlich der Steppe und südwestlich des Schwarzen Meeres lernten sie diese Vorsicht aufzugeben und einander im Nahkampf entgegenzutreten.« 5 Mardonius kam von der falschen Seite dieser Grenzlinie.
    Am Ende des letzten Kapitels habe ich gefragt, wie die Römer nach Rom kamen (gewissermaßen), während so viele andere Menschen in der Antike das nicht geschafft haben. Wenn Hanson und Keegan richtig liegen, haben wir hier womöglich die Antwort: Ausgehend von ihrer Argumentation könnten wir behaupten, die Römer kamen nach Rom, weil sie von den Griechen die westliche Art der Kriegführung geerbt hatten und nur diese direkte und blutige Form des Kampfes in der Lage war, einen Leviathan zu gebären. Ich sollte dann in einem weiteren Schluss präzisieren, dass meine Behauptung, der Krieg sei für etwas gut gewesen, implizit auf die westliche Art des Krieges gemünzt ist.
    Um herauszufinden, ob dem wirklich so ist, müssen wir unsere Perspektive erweitern. Wir müssen dazu als Erstes in Erfahrung bringen, ob die Art, wie die Griechen in Plataiai kämpften, tatsächlich einzigartig westlich war, und in einem weiteren Schritt, ob auch das Wachstum großer, sicherer und wohlhabender Gesellschaften eine Eigenheit des Westens war.
    In diesem Kapitel möchte ich zunächst

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