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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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irgendwer, dass viele Staaten tatsächlich kriminell sind; und dennoch bleibt das Paradoxon bestehen: Die Gesamtwirkung aller Leviathane der letzten 10   000 Jahre hat darin bestanden, Staaten zu schaffen, die immer friedlicher und wohlhabender geworden sind. Wir könnten nun mit einem Und-was-ist-mit-Hitler-Einwand kommen (Stalin, Idi Amin, Mao, suchen Sie sich einen aus). Das nationalsozialistische Regime war verabscheuenswürdig; es war nicht weniger – wenn nicht gar mehr – am Tod seiner Bürger als an deren Schutz interessiert. Wie also sollte jemand behaupten wollen, die Gesamtwirkung des Staats habe uns sicherer und reicher gemacht? Ein Hitler, so ist man versucht zu sagen, sticht einen Hobbes allemal.
    Aber dieses Und-was-ist-mit-Hitler birgt wiederum ein ganz eigenes Problem. Hobbes’ Argument ist nicht das einzige, das augenscheinlich von Hitler ausgehebelt wird. Wie ich bereits erwähnt habe, hatte es jahrzehntelang den Anschein, als hätte Hitler auch Elias widerlegt – bis klar wurde, dass dem eben doch nicht so war. Zwischen 1933 und 1945 hat der nationalsozialistische Leviathan seine Jungen verschlungen und die Sterblichkeit durch Gewalteinwirkung in horrende Höhen getrieben, aber wenn wir unsere Perspektive auch nur geringfügig erweitern, dann sehen wir natürlich, dass im Sommer 1945 auch dieses Ungeheuer von anderen Leviathanen besiegt wurde; und der Abwärtstrend bei der gewaltbedingten Sterblichkeitsrate setzte sich fort.
    Ich werde auf die Und-was-ist-mit-Hitler-Frage in Kapitel 5 genauer eingehen, für den Augenblick will ich nur festhalten, dass der Grund dafür, dass die Hitler-Karte Hobbes nicht sticht, schlicht und einfach darin besteht, dass das Herausgreifen besonders extremer Fälle von abscheulichen – oder tugendhaften – Herrschern eine breiter angelegte Theorie über den Nutzen des Kriegs einfach nicht widerlegen kann. Tatsache ist, dass keine zwei Staaten gleich sind (ja, im Lichte der unrühmlichen Geschichte politischerKehrtwendungen stellen wir fest, dass sich noch nicht einmal ein und derselbe Staat allzu lange gleich bleibt). Leviathans Wirkung lässt sich nur dann erkennen, wenn wir uns den Staat – wie den Krieg – über einen möglichst langen Zeitraum ansehen.
    Tabelle 1, von dem Historiker Niall Ferguson entworfen, ist ein praktisches Hilfsmittel für einschlägige Überlegungen. Die Tabelle sei »nicht als festes Raster, sondern eher als ›Baukasten‹ zu verstehen«, erklärt Ferguson 18 ; jede Gesellschaft wähle eine oder mehrere Möglichkeiten aus jeder Spalte, die sie nach Belieben mische und kombiniere. Es gibt Zehntausende möglicher Kombinationen. Deutschland unter Hitler zum Beispiel wurde als Tyrannei geführt. Zu seinen Planzielen gehörten Sicherheit, Rohstoffe, Schätze und vor allem Land (der berüchtigte »Lebensraum«). Das öffentliche Gut ist weniger offensichtlich, beinhaltete aber wahrscheinlich Gesundheit. Seine Herrschaft war hauptsächlich militärischer Art, sein Wirtschaftssystem das einer – wenn auch schlechten – Planwirtschaft; wesentlicher Nutznießer war eine herrschende Elite, der Charakter seiner Gesellschaft entschieden völkermörderisch.
    Es gibt nicht zwei Gesellschaften, deren Wahl in allen Punkten gleich ausfällt. Zweitausend Jahre vor Hitler zum Beispiel wurde die Römische Republik von einer Aristokratie regiert, der in erster Linie an der Aushebung von diensttauglichen Männern für militärische Zwecke gelegen war. Die beiden öffentlichen Güter, die sie bot, waren wahrscheinlich Handel und Recht; sie herrschte hauptsächlich durch Delegation an lokale Eliten, nutzte dem größten Teil ihrer Bürger und verwandelte ihren Sozialcharakter im Lauf der Zeit von hierarchisch bis assimilierend.
    Geschichtsfans können eine Menge Spaß daraus ziehen, die verschiedensten Gesellschaften in Fergusons »Baukasten« einzuordnen, aber auch hier gibt es noch etwas Wichtigeres zu bedenken. Während der 5   000 Jahre, für die wir schriftliche Belege haben, funktionierten einige Staaten mehr nach dem Muster von Hobbes’ Leviathan, andere mehr nach dem von Hitlers Drittem Reich; aber der allumfassende Trend, so ein Argument dieses Buches, neigt mehr Hobbes’ Ende des Spektrums zu, und genau das ist der Grund, weshalb die Rate der Sterblichkeit durch Gewalteinwirkung derart gesunken ist.
    [Bild vergrößern]
    Tabelle 1Der Möglichkeiten, etwas anzugehen, sind viele
    Der »Baukasten« der Regierungsformen des Historikers Niall

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