Krieg – Wozu er gut ist
Edikten, die der spätere König Ashoka nach seiner Eroberung von Kalinga in den 250er Jahren v. Chr. hat ausfertigen lassen. In auffallendem Gegensatz zu dem für königliche Proklamationen sonst typischen Bombast klingt in Ashokas Edikten so etwas wie Bedauern an: »Als der König … acht Jahre geweiht war, wurde Kalinga … erobert. … Nicht weniger als 150 000 Menschen wurden von dort deportiert, nicht weniger als 100 000 dort getötet, beinahe ebenso viele starben. … Seither ist nun … strenges Dhamma-Studium, Liebe zum Dhamma und Dhamma-Unterweisung (Sache) des Göttergeliebten. … Wenn nämlich einer ein unerobertes (Gebiet) erobert, dann erscheint, was dabei an Gemetzel oder Sterben oder Deportation von Leuten geschieht, dem Göttergeliebten außerordentlich schmerzlich und schwerwiegend.«
Trotz der Eroberungen des »Göttergeliebten« »bei allen Nachbarn bis auf eine Entfernung von sechshundert Yojanas hin« 8 gab er bekannt, von nun an nach dem Dhamma (oder Dharma) zu leben. Es hält unter Indologen eine Debatte darüber an, ob Dhamma ein buddhistisches Konzept war oder Ashokas eigene Erfindung. Der König jedenfalls sagt uns, er meine damit »gegen Sklaven und Diener korrektes Benehmen, gegen die Eltern Gehorsam, gegen Freunde, Bekannte und Verwandte … Freigebigkeit, gegen Tiere Nicht-Töten. … Ebendas muss gesagt werden sowohl von einem Vater wie von einem Sohn, wie von einem Bruder, wie von einem Herrn, wie von Freunden und Bekannten, ja sogar von einem Nachbarn: ›Dies ist gut; dies muss getan werden.‹« 9
Ashoka setzte in Stadt und Land Dhamma-Inspektoren ein mit dem Auftrag, einer ganzen Reihe neuer Gesetze Geltung zu verschaffen. Er schickte diese Inspektoren aus, um den Erfolg seiner Beamten zu überprüfen, und sah überdies bei persönlichen Reisen selbst nach dem Rechten. Wie in Rom gingen, was Hobbes später als »Gemeinwesen durch Aneignung« und »Gemeinwesen durch Einsetzung« bezeichnete, auch hier Hand in Hand: Ashokas »Ermahnung … ist denn auch so gehalten, dass der Gebrauch militärischer Macht keineswegs ausgeschlossen bleibt, sofern die Aufrechterhaltung der Herrschaft – im Selbstverständnis identisch mit der Sicherung des Friedens – ihn erforderlich macht«. Aber unter dem Strich, so sein Fazit, sei es doch so, dass seit Einsetzung des Dhamma »das Böse unter den Menschen geringer geworden ist auf der Welt. Bei jenen, die gelitten haben, ist es verschwunden, und es herrschen Freude und Frieden überall auf der Welt.« 10
Einmal mehr bräuchten wir dringend handfeste Statistiken über den gewaltsamen Tod im antiken Indien, um sie neben diese Quellen zu stellen, aber es gibt sie auch in diesem Fall nicht. Selbst die Archäologie vermag uns hier nicht groß weiterzuhelfen. Nur wenige Gräber – egal welcher Art – sind bekannt, sodass wir nicht sagen können, ob der Mensch dort Waffen weiterhin als normales Accessoire männlicher Mode sah. Festungsanlagen breiteten sich im 6. Jahrhundert v. Chr. das Tal des Ganges hinauf aus, was darauf schließen lässt, dass kriegerische Auseinandersetzungen zunahmen. Im Römischen Reich ließen die meisten Städte ihre Mauern nach den anfänglichen Eroberungskriegen verfallen, aber in Indien blieben Befestigungsanlagen das gesamte Maurya-Reich hindurch üblich. Warum das so war, ist bislang ungeklärt. Möglicherweise war das Maurya-Reich weniger fest etabliert als das Römische, oder vielleicht ließ auch seine kurze Lebensdauer (um 320 v. Chr. gegründet zerfiel es nach einem Staatsstreich 185 v. Chr.) seinen Städten einfach nicht genug Zeit, den Wällen zu entwachsen, dieüberflüssig geworden waren. Was freilich ohne weitere Ausgrabungen fürs Erste reine Vermutung bleiben muss.
Die Übereinstimmungen zwischen Kautilya, Megasthenes und Ashoka im Verein mit den allgemeinen Ähnlichkeiten zur Herrschaft des Rechts in Indien und China lassen mich vermuten, dass das Maurya-Reich, wie die Han und die Römer, seine Untertanen sicherer gemacht hat. Aber während diese Frage für den Augenblick noch offen bleiben muss, gibt es kaum Raum für eine Debatte über den Umstand, dass alle drei Imperien ihre Untertanen reicher gemacht haben.
In China, da sind sich Texte und Archäologie einig, blühte das Wirtschaftsleben mit zunehmender Größe des Staates auf. Kanäle, Bewässerungssysteme, Brunnen, Dünger und Ochsen wurden auf den Feldern alltäglich. Eisenwerkzeuge verbreiteten sich. Eine Stadt nach der
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