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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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Provinzen verlegten beide Reiche ihre Truppen an die Grenzen. Aber während Rom weiterhin Soldaten aus allen Teilen des Reichs rekrutierte und ehrenwerte Männer wie der Geograf Plinius und der Geschichtsschreiber Tacitus hin und her pendelten zwischen Anwaltsberuf, dem Schreiben und militärischen Kommandos, ging China einen Schritt weiter. Man ging dort dazu über, die eigenen Armeen mit Sträflingen oder gedungenen Söldnern aus dem Ausland zu besetzen, auf dass der Gentleman der Han-Dynastie sich ganz dem Anwaltsberuf und dem Schreibenwidmen konnte. Während die Römer sich den Stoizismus zu eigen machten, der sie mit Dingen zu leben lehrte, die ihnen nicht eigentlich genehm waren, anstatt im Amok jemanden umzubringen, übernahm die Han-Elite verschiedene Formen des Konfuzianismus, laut denen der Mann der Feder den Mann des Schwertes im Rang weit übertraf. Gar mehr noch als in Rom führte der Weg zum Erfolg über Bildung und Kultur.
    Etwas Ähnliches spielte sich im Süden Asiens ab, obwohl die Konturen der Pax Indica um einiges schwieriger festzumachen sind als die chinesische oder römische Variante davon. Schlechte Arbeiter, so heißt es, geben ihren Werkzeugen die Schuld, und schlechte Historiker machen in der Regel ihre Quellen verantwortlich, aber das ändert nichts daran, dass wir über das indische Maurya-Reich nicht so viel wissen wie über die Han-Dynastie oder Rom.
    Aus dem Maurya-Reich haben nur sehr wenige Dokumente überlebt, und das wichtigste davon – das Arthashastra *12 , eine 800-seitige Abhandlung über das Staatsrecht 7 – galt mehrere Jahrhunderte als verloren. Es tauchte erst 1904 wieder auf, als ein indischer Gelehrter (dessen Namen zu notieren niemandem der Mühe wert schien) in die Mysore Oriental Library kam, die letzte erhaltene auf Palmblätter geschriebene Abschrift unter dem Arm.
    Neben Einlassungen über praktisch alles, vom Bau einer Festung bis hin zur Zahl der Friseure, die ein König haben sollte, beschrieb das Arthashastra auch ein komplexes Justizwesen mit den Regeln, die Richter bei der Untersuchung eines Mordes oder einer Tätlichkeit zu befolgen hätten. Ärzte, die ein Verbrechen hinter dem Tod eines Patienten vermuteten, hatten Anzeige zu erstatten; dasselbe galt für Dorfoberhäupter, die Zeugen von Gewalt gegenüber Tieren wurden. Das Gesetz schrieb die Strafen für jede nur erdenkliche Art von Gewalttat vor. So unterschied es zum Beispiel zwischen Tätlichkeiten wie Anspucken und Ankotzen, wobei weiter unterteilt wurde, je nachdem ob die fragliche Flüssigkeit das Opfer oberhalb oder unterhalb des Nabels traf oder gar am Kopf.
    Dem Arthashastra nach zu urteilen, war es den Maurya durchaus ernst mit der Unterdrückung der Gewalt, und sein Autor Kautilya (auch als Chanakya bekannt, womöglich sogar auch als Vishnugupta) dürfte gewusst haben, wovon er sprach. Er selbst führte den Aufstand, der die Maurya-Dynastie um 320 v.   Chr. an die Macht brachte, und diente dann dem ersten König Chandragupta als Premier.
    Kautilya war also bestens platziert, um die Institutionen der Maurya zu beschreiben, aber da beginnen auch bereits die Probleme. Die Forschung ist sich nicht einig darüber, ob Kautilya nun eine Realität schilderte oder Vorschriften für einen idealen König festhielt; einige bezweifeln sogar, dass er überhaupt der Autor des Arthashastra war. Das Buch erwähnt Gegenstände (wie etwa chinesische Seide), die Indien offensichtlich erst später erreichten, und eine Analyse seiner Sprache lässt vermuten, dass das Buch erst lange nach Kautilyas Tod aus einem Jahrhunderte überspannenden Sammelsurium von Material zusammengestellt worden war.
    Wir haben noch weitere Belege, die sich mit dem Arthashastra vergleichen lassen, aber jedes der Objekte birgt sein eigenes Problem. Megasthenes, ein griechischer Diplomat, der um 300 v.   Chr. einige Zeit in Pataliputra, der Hauptstadt des Maurya-Reiches, verbracht hat (und Kautilya mit Sicherheit gekannt haben dürfte), schrieb, dass Inder extrem gesetzestreu seien – so sehr, dass Chandraguptas Truppen im Krieg nie das Land verwüstet, geschweige denn Bauern getötet hätten. Angesichts des Umstands freilich, dass Megasthenes davon überzeugt war, dass einigen Indern die Füße verkehrt herum an den Beinen angewachsen seien und dass indische Hunde so fest zubissen, bis ihnen die Augen aus dem Kopf sprängen, ist seiner Aussage nur bedingt zu trauen.
    Die wichtigste Quelle neben dem Arthashastra ist eine Gruppe von 39

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