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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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Jahrhundert erforscht haben. Ihre tödlichsten Waffen waren Steinklingen. Sie tauchten auf und liefen wieder davon, wie es ihnen gerade einfiel. Selten führten sie bei ihren »Feldzügen« mehr Nahrung als für einige Tage mit.
    Aus genau diesen Gründen kamen Anthropologen bei der Begegnung mit modernen Steinzeitgesellschaften zu einem ähnlichen Schluss wie Margaret Mead auf Samoa: dass diese Menschen keine Kämpfer seien. Die wenigen Schlachten, deren Zeugen Anthropologen in Neuguinea oder Amazonien wurden, waren so planlos wie flüchtig. Man bildete ungeordnete Linien von wenigen Dutzend Männern; gerade mal so außerhalb der effektiven Reichweite von Pfeil und Bogen, verhöhnte man einander; hin und wieder liefen ein oder zwei Männer nach vorne, schossen einen Pfeil ab und liefen wieder davon.
    So etwas konnte den ganzen Tag dauern, dann folgte eine Pause, während der man zu Abend aß, und womöglich traf man sich am nächsten Morgenwieder. Es war gut möglich, dass der Kampf ein abruptes Ende fand, wenn einer der Männer eine Verletzung davontrug. Manchmal genügte schon ein Regenguss und das Spiel war vorbei. Es schien sich alles mit Meads Coming-of-Age -Theorie zu decken, laut der so genannte Schlachten nichts weiter als Männlichkeitsrituale waren, bei denen junge Kerle zeigen konnten, was für harte Männer sie sind (wie Mead sich ausdrückte); um hohe Einsätze ging es da nicht.
    Was Anthropologen selten mitbekamen, weil so wenige von ihnen lange genug blieben, war, dass der eigentliche Steinzeitkrieg zwischen den Schlachten stattfand. Schlachten sind immerhin mit Gefahren verbunden; wer stehen bleibt, wenn die Pfeile zu fliegen beginnen, geschweige denn dass er auf die Reihe der Feinde zuläuft, um mit der Steinaxt zuschlagen zu können, riskiert eine ernste Verletzung. Um wie viel sicherer ist es da, sich auf die Lauer zu legen und auf jemanden loszugehen, der nicht damit rechnet – was, wie Anthropologen dann schließlich doch herausgefunden haben, genau die Art des Kampfes war, die dem Steinzeitkrieger des 20. Jahrhunderts lag. Eine Handvoll Krieger schlichen sich in feindliches Territorium; liefen ihnen ein oder zwei Männer des rivalisierenden Stammes über den Weg, schlugen sie zu; waren es Frauen, vergewaltigten sie sie und schleppten sie nach Hause. Trafen sie auf Gruppen, die groß genug waren, um zurückzuschlagen, versteckten sie sich.
    Noch besser als Hinterhalte waren jedoch Überfälle im Morgengrauen *19 , grauenhafte Episoden, die in der anthropologischen Literatur so oft auftauchen, dass sie nur für den gewohnheitsmäßigen Leser ihre Schrecken verlieren. Für einen Überfall dieser Art müssen ein Dutzend oder mehr Krieger den ganzen Weg zu einer feindlichen Siedlung kriechend zurücklegen. Das ist nervenaufreibende Arbeit, und die meisten Unternehmungen dieser Art werden abgebrochen, noch bevor die Killer ihr Ziel erreichen. Geht jedoch alles glatt, erreicht das Kommando sein Ziel bei Dunkelheit und greift beim ersten Tageslicht an. Und selbst so töten die Angreifer bei so einem Überfall kaum mehr als ein, zwei Leute (oft Männer, die im Morgengrauen zum Urinieren ins Freie gehen), bevor sie selber in Panik geraten und Fersengeld geben. Manchmal freilich gelingt ihnen auch der große Wurf, wie der folgende Hopi-Bericht vom Überfall auf das Dorf Awatovi in Arizona im Jahre 1700 n.   Chr. zeigt:

    »Gerade als der Himmel die Farben der gelben Dämmerung anzunehmen begann, kam Ta’palo auf dem Dach der kiva *20 auf die Beine und winkte mit seiner Decke, worauf die Angreifer die mesa erkletterten und der Überfall begann. … Sie setzten die Holzhaufen auf den Dächern der kivas in Brand und warfen sie durch die Luken. Dann schossen sie ihre Pfeile auf die Männer unter ihnen ab. … Wo immer sie auf einen Mann trafen, ganz gleich ob jung oder alt, brachten sie ihn um. Einige packten sie einfach und warfen sie in eine kiva . Nicht ein einziger Mann oder Knabe blieb verschont.
    An den Wänden hingen Bündel getrockneten Chilis. … Die Angreifer zerstießen sie … und streuten das Pulver in die kivas , direkt in die Flammen. Dann schlossen sie die Luken der kivas . … Der Chili fing Feuer und brannte, mit dem Rauch vermischt, höchst schmerzlich. Ein großes Heulen, Schreien und Husten hob an. Nach einer Weile fingen die Dachbalken Feuer. Als sie in Flammen aufgingen, begannen sie einzubrechen, einer nach dem anderen. Schließlich erstarben die Schreie, und es wurde still.

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