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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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Millionen Menschen. Sie lebten durchschnittlich dreißig Jahre und von – umgerechnet – weniger als zwei amerikanischen Dollar pro Tag. Heute sind wir mehr als tausendmal so viele (sieben Milliarden, um genau zu sein), leben zweimal so lang (der weltweite Durchschnitt liegt bei 67 Jahren) und verdienen mehr als ein Dutzend Mal so viel (der Weltdurchschnitt beträgt 25 Dollar pro Tag). Diese Statistiken dürften kaum all die Millionen trösten, die erschossen, erstochen, erschlagen, gehängt, verbrannt, ausgehungert oder sonst wie zu Tode gebracht wurden; wir anderen jedoch verdanken unsere Annehmlichkeiten ihrem Verlust.
    Der Krieg ist also doch zu etwas gut gewesen – und das in einem Maße, das mich in meinem vierten Punkt behaupten lässt, dass der Krieg sich heute selbst um sein Geschäft bringt. Über Tausende von Jahren hinweg schuf der Krieg (auf lange Sicht) Frieden, sorgte die Zerstörung für Wohlstand. In unserer Zeit jedoch führt die Menschheit ihre Kriege so gut – unsere Waffen sind so destruktiv geworden, unsere Organisationen so effizient –, dass der Krieg Kriege dieser Art unmöglich zu machen beginnt. Wären die Ereignisse in der Nacht vom 26. September 1983 anders verlaufen, wäre Petrow in Panik geraten, hätte der Generalstab den Knopf gedrückt, wären während der folgenden Wochen eine Milliarde von uns einen elenden Tod gestorben, die Zahl gewaltsamer Todesfälle des 20. Jahrhunderts wäre schlagartig wieder auf Steinzeitniveau hochgeschnellt. Und wäre das toxische Vermächtnis all dieser Gefechtsköpfe so schrecklich ausgefallen, wie einige Wissenschaftler befürchteten, gäbe es mittlerweile womöglich überhaupt keine Menschen mehr.
    Das Gute an alledem ist nicht nur, dass es dazu nicht kam, sondern darüber hinaus offen gesagt auch der Grad an Unwahrscheinlichkeit, dass es je dazu kommen sollte. Wir Menschen haben ein bemerkenswertes Geschick dabei bewiesen, uns den Veränderungen unserer Umgebung anzupassen. Wir haben in der Vergangenheit zahllose Kriege geführt, weil es sich lohnte; aber seit die Erträge aus der Gewalt zurückgehen, haben wir Mittel und Wege gefunden, unsere Probleme zu lösen, ohne Armageddon heraufzubeschwören. Garantien freilich gibt es natürlich keine, aber wie ich im letzten Kapitel dieses Buches behaupten werde, besteht durchaus Grund zur Hoffnung. Das 21. Jahrhundert wird ganz erstaunliche Veränderungen unserer Umwelt erleben, und das schließt den Stellenwert der Gewalt im menschlichen Leben mit ein. Der uralte Traum einer Welt ohne Krieg könnte womöglich doch noch in Erfüllung gehen – wie diese Welt aussehen wird, steht freilich auf einem ganz anderen Blatt.
    Die unverblümte Präsentation dieser Punkte hat wahrscheinlich eine ganze Reihe von Alarmglocken ausgelöst. Was, so mögen Sie sich fragen, verstehe ich unter »Kriegen«, und wie kann ich wissen, wie viele Menschen in ihnen gestorben sind? Was ist für mich eine »Gesellschaft«, und wie sollte ich sagen können, wann sie größer wird? Und, wenn wir schon dabei sind: Was macht einen »Staat« aus und wie messen wir, wie stark er im Einzelfall ist? Es sind dies alles gute Fragen, und ich werde sie im Verlauf meiner Geschichte zu beantworten versuchen.
    Meine zentrale These – dass der Krieg die Welt sicherer gemacht hat – wird wahrscheinlich am ehesten für Stirnrunzeln sorgen. Aber wenn sich das paradox anhört, dann liegt das daran, dass alles am Krieg paradox ist. Der Stratege Edward Luttwak bringt das Problem sehr schön auf den Punkt. In unserem Alltagsleben, so bemerkt er, »regiert eine widerspruchsfreie lineare Logik, der nichts weiter zugrunde liegt als der gesunde Menschenverstand. Im Reich der Strategie, in dem menschliche Beziehungen durch tatsächliche oder mögliche bewaffnete Konflikte bestimmt werden, ist aber eine andere Logik am Werk, die regelmäßig gegen die gewöhnliche lineare Logik verstößt.« Luttwak kommt zu dem Schluss, dass der Krieg »paradoxes Verhalten belohnt und linear-logisches Handeln bestraft, was zu ironischen … Ergebnissen führt«. 5
    Im Krieg geht das Paradoxon bis zur letzten Konsequenz. Nach Basil Liddell Hart, einem der Begründer moderner Panzertaktik, bedeutet Krieg immer, »dass Böses getan wird in der Hoffnung, es möge dabei etwas Gutesherauskommen«. 6 Aus dem Krieg entsteht Frieden; aus dem Verlust Gewinn. Krieg führt uns hinter den Spiegel, in eine verdrehte Welt, wo nichts ganz das ist, was es zu sein scheint. Mein Argument

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