Krieg – Wozu er gut ist
in diesem Buch ist das des kleineren Übels, eine der klassischen Formen des Paradoxons. Es ist kein Problem, all das aufzuzählen, was schlecht am Krieg ist, und das Töten steht auf dieser Liste ganz obenan; und dennoch bleibt der Krieg das kleinere Übel, weil die Geschichte zeigt, dass er nicht so schlimm ist wie seine Alternative: Gewalt auf Steinzeitlevel als Normalzustand, und das Tag für Tag.
Der offensichtliche Einwand gegen die Argumentation des kleineren Übels ist der, dass ihre Bilanz eher durchwachsen ist. Ideologen sind ganz vernarrt in sie: Reihenweise haben Extremisten ihren Anhängern versichert, sie bräuchten nur diese Hexen zu verbrennen, diese Juden zu vergasen, diese Tutsi zu massakrieren, und schon hätten sie eine reine, vollkommene Welt. Und dennoch lassen diese abscheulichen Behauptungen sich auch umdrehen. Wenn Sie als Zeitreisender zurückgehen und Hitler in seiner Wiege strangulieren könnten – würden Sie es tun? Wenn man sich den Gedanken des kleineren Übels zu eigen macht, könnten einige Tote jetzt viele Tote später verhindern. Die Doktrin des kleineren Übels birgt unbequeme Entscheidungen.
Moralphilosophen interessieren sich besonders für die Haken und Ösen dieser Doktrin. »Stellen Sie sich vor«, habe ich einen Kollegen von der Philosophischen Fakultät meiner Universität einem vollen Hörsaal sagen hören, »Sie haben einen Terroristen gefangen. Er hat eine Bombe gelegt, will Ihnen aber nicht sagen, wo. Wenn Sie ihn foltern, sagt er es Ihnen vielleicht, und Sie retten Dutzende von Leben. Würden Sie ihm die Fingernägel herausreißen?« Die Studenten zögerten, da setzte der Philosoph noch eins drauf. »Ihre Familie«, sagte er, »wird unter den Toten sein. Wird Sie das zur Zange greifen lassen? Oder – noch eins drauf – wenn er immer noch nicht redet: Würden Sie seine Familie foltern?«
Diese unbequemen Fragen werfen gravierende Probleme auf. In der wirklichen Welt aber haben wir uns ständig für das kleinere Übel zu entscheiden. Derlei Entscheidungen können schmerzlich sein, und erst in den jüngsten Jahren lernen die Psychologen, was diese Dilemmata bei uns anrichten. Würde ein Experimentator Sie festschnallen, in einen Kernspintomografen schieben und Ihnen dann ethisch problematische Fragen stellen, Ihr Gehirn würde auf bestürzende Art reagieren. Ginge es dabei um dieunerquickliche Szene der Folterung eines Terroristen, dann würde auf den Monitoren des Geräts Ihr Orbitalcortex aufleuchten, weil Areale, in denen Sie unbehagliche Gedanken verarbeiten, verstärkt mit Blut versorgt würden; berechneten Sie jedoch die Zahl von Leben, die Sie retten könnten, würden andere Schaltkreise aktiviert, und der dorso-laterale Teil Ihres Cortex wäre erhellt. Sie würden diese gegensätzlichen emotionalen und intellektuellen Impulse als intensives inneres Ringen erfahren, was denn auch Ihren anterioren cingulären Cortex aufleuchten ließ.
Unangenehm, wie uns Argumente für das kleinere Übel von Natur aus sind, kann dieses Buch sich als durchaus beunruhigende Lektüre erweisen. Immerhin handelt es sich beim Krieg um Massenmord; wer möchte behaupten, dass daraus etwas Gutes kommen könnte? Nun, einer wie ich, so würde ich antworten, der von den Ergebnissen seiner eigenen Forschung überrascht war. Hätte mir noch vor zehn Jahren einer gesagt, dass ich eines Tages dieses Buch schreiben würde, ich hätte ihm wohl kaum geglaubt. Aber ich habe gelernt, dass die Beweise aus der Geschichte (sowie aus Archäologie und Anthropologie) unzweideutig sind: 10 000 Jahre Krieg haben größere Gemeinschaften höherer Ordnung geschaffen, die das Risiko, eines gewaltsamen Todes zu sterben, gemindert haben. So unbequem diese Tatsache ist, auf lange Sicht hat der Krieg die Welt sicherer und reicher gemacht.
Ich bin beileibe nicht der Erste, dem das aufgefallen ist. Schon vor über siebzig Jahren hat der deutsche Soziologie Norbert Elias in einer hochtheoretischen zweibändigen Abhandlung mit dem Titel Über den Prozess der Zivilisation das Argument vorgebracht, Europa sei in den fünf Jahrhunderten vor seiner Zeit ein weit friedlicherer Ort geworden. Seit dem Mittelalter, so behauptet er, hätte der typisch männliche Vertreter der europäischen Oberschicht (der für den Löwenanteil der Brutalität verantwortlich gewesen war) dem Einsatz von körperlicher Gewalt nach und nach abgeschworen und das allgemeine Maß an Gewalttätigkeit sich beträchtlich gesenkt.
Die Belege,
Weitere Kostenlose Bücher