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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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n.   Chr. war die jüngste Revolution im Militärwesen abgeschlossen. Damit herrschte das Schlachtross uneingeschränkt vom Mittelmeerraum bis hinüber zum Gelben Meer.
    Wie jedes Reich seine Kavallerie einsetzte, hing von den jeweiligen geografischen Gegebenheiten ab. Han und Kuschana verließen sich auf Massen leichter Reiter, mit denen sich auf der offenen Steppe schnell zuschlagen ließ; die persischen Sassaniden vertrauten auf Frontalangriffe gepanzerter Ritter mit Lanzen; und die Römer bevorzugten kombinierte Taktiken, um Überfälle in den Wäldern der Barbaren durchführen zu können und Störenfriede aus dem Hinterhalt anzufallen. Jedes der Systeme funktionierte auf seine Weise gut genug gegen den unmittelbaren Feind, und während der ersten paar Jahrhunderte n.   Chr. wurde nur selten augenfällig, dass die Reiche des Altertums den Kulminationspunkt ihrer produktiven Kriege geradezu entsetzlich weit überschritten hatten.
    Es brauchte einen ganz und gar unvermuteten Feind, um das deutlich werden zu lassen.
Friedhof der Imperien
    Die Aristokraten der großen Reiche des Altertums verabscheuten Nomaden. Für Herodot waren es die Skythen, deren Praxis des Skalpierens für ihn alles sagte: »Je von dem ersten Manne, den ein Scythe erlegt, trinkt er sein Blut. Und von Allen, die er in der Schlacht tödtet, bringt er dem Könige die Köpfe«, berichtete er. »Er macht bei den Ohren einen Schnitt rund herum, fasst den Kopf, schüttelt ihn heraus; das Uebrige entfleischt er dann mit einer Ochsenribbe und gerbt es mit den Händen: und wenn es nun mürb ist, so braucht er’s als Handtuch.« 15 Tausend Jahre später äußerte sich der römische Autor Ammianus Marcellinus noch unverblümter hinsichtlich der Hunnen. Seiner Darstellung zufolge besaßen sie »alle gedrungene, starke Gliedmaßen sowie einen festen Nacken, sind aber so entsetzlich missgestaltet und verkrümmt, dass man sie für zweibeinige Bestien oder für Menschenklötze halten könnte, wie man sie zur Eingrenzung von Brücken roh behauen aufstellt«. 16
    Was diese kultivierten Herren aber eigentlich hätte alarmieren sollen, waren nicht etwa die fiesen Nomaden, die da auf ihren Pferden heranstürmten, sondern was da an weit fieseren Mikroben auf den Nomaden angeritten kam.
    Bis zum 20. Jahrhundert n.   Chr. war der schlimmste Killer im Krieg die Krankheit. Indem man Tausende von Männern auf engstem Raum zusammenpferchte, sie für gewöhnlich nicht anständig ernährte und im eigenen Schmutz verkommen ließ, wirkten Armeen für Mikroben wie eine überaus reichhaltige Nährlösung, in der sie sich wie verrückt vermehren konnten. In übervölkerten, unhygienischen Lagern gediehen Viren, selbst wenn sie ihre menschlichen Wirte töteten, da es immer neue Wirte gab, auf die sich überspringen ließ. Dysenterie (Ruhr), Diarrhöe, Typhus und Tuberkulose: Sie sind seit jeher Soldatenlos.
    161 n.   Chr. jedoch, das Jahr, in dem Marcus Aurelius in Rom den Purpur annahm, braute sich noch etwas weit Schlimmeres zusammen. Wir hören davon zum ersten Mal an Chinas Westgrenze, wo, wie so oft, eine Riesenarmee im Krieg mit den Steppennomaden lag. Berichte beschreiben eine rätselhafte neue Krankheit, die ein Drittel der Männer in den Lagern dahinraffte – und das binnen weniger Wochen. Vier Jahre später fegte eine nicht weniger schreckliche Infektionskrankheit wie ein Lauffeuer durch die römischen Militärlager Syriens. 167 n.   Chr. erreichte die Krankheit die Stadt Rom, wo sie so viele Menschenleben forderte, dass Mark Aurel seinen Abmarsch an die Donau hinausschob, um Riten zum Schutz der Stadt zu vollziehen. Als seine Armee die Stadt verließ, um an die Front zu ziehen, nahm sie die Krankheit mit.
    Geht man nach Augenzeugenberichten, dürfte es sich bei der Seuche um die Pocken gehandelt haben. Genetiker haben das anhand antiker DNS bislang nicht bestätigen können; was jedoch die Ursache ihres gleichzeitigen Ausbruchs an beiden Enden Eurasiens anbelangt, so können wir sie mit einiger Sicherheit im Fallen der Dominosteine in den Steppengebieten sehen. Über Tausende von Jahren hinweg hatte jede der eurasischen Kulturen ihren eigenen spezifischen Pool von Krankheiten entwickelt. Ganz nach dem Prinzip der Roten Königin lieferten tödliche Krankheitserreger und schützende Antikörper sich einen Wettlauf und wurden dabei immer schneller, ohne wirklich vom Fleck zu kommen, immer in einem verderblichen Gleichgewicht der Kräfte, stets Kopf an Kopf. Die

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