Krieg – Wozu er gut ist
versuchten schließlich erst gar nicht mehr, die Toten zu zählen.
Rom erging es nicht besser: Bevölkerung, Landwirtschaft und Handel – alles im freien Fall. Klamme Kaiser knauserten am Sold der Soldaten oder minderten den Wert ihrer Währung, auf dass ihre begrenzten Silbervorräte länger reichten. Resultat davon war, wie vorauszusehen, eine heftige Inflation, angesichts der die Wirtschaft erst recht in Bedrängnis geriet.
Zornige Soldaten nahmen das Problem schließlich selbst in die Hand. 193 n. Chr. und dann noch einmal 218 verkaufte die Kaiserliche Garde den Thron an den Meistbietenden, und zwischen 218 und 222 herrschte – wenn man das so nennen will – mit Elagabal ein durchgeknallter Teenager, der sich selbst unter den römischen Kaisern an Korruptheit, Grausamkeit und Inkompetenz hervortat. Zwischen 235 und 284 hatte Rom, je nach Zählung, bis zu 43 Kaiser. Die meisten von ihnen waren Militärs, und alle bis auf einen – den die Pest hinwegraffte – starben sie eines gewaltsamen Tods. Von den übrigen 42 fiel einer im Kampf gegen einfallende Goten, einen weiteren entführten die persischen Sassaniden, die ihn in einen Käfig sperrten,verhöhnten und folterten, bis sie das langweilte; dann brachte man ihn um. Die übrigen vierzig fanden allesamt durch die Hände römischer Landsleute den Tod.
Angesichts zahlreicher militärischer Bedrohungen blieb den Kaisern nichts anderes übrig, als riesige Heere untergeordneten Generälen zu überantworten, obwohl diese ihren Herrschern das entgegengebrachte Vertrauen wiederholt mit einem Putsch vergalten (und das trotz des Umstands, dass niemand die Beförderung zum Kaiser länger als ein paar Monate überlebte). Dem Reich schadete das in zweifacher Weise, da ein putschender General, um einen Bürgerkrieg führen zu können, in der Regel seine Armee von ihrem Posten an der Grenze abzog, was jedem Eindringling Tür und Tor öffnete.
Die Goten bauten Schiffe, überquerten das Schwarze Meer und plünderten Griechenland. Die Franken (damals im heutigen Deutschland ansässig) tobten über Gallien hinweg bis nach Spanien. Andere germanische Stämme überfielen Italien, während die Mauren Nordafrika eroberten und die persischen Sassaniden Syriens wohlhabende Städte in Schutt und Asche legten. In der Erkenntnis, dass die Zentralregierung sie nicht schützen würde, bildeten die östlichen und westlichen Provinzen ihre eigenen Staaten, und 260 n. Chr. spaltete sich das Römische Reich – wie das der Han – in drei kleinere Staaten auf.
Der blutige Zusammenbruch großer Imperien wurde zur Norm. In den 30er Jahren des 3. Jahrhunderts zerfiel in Indien, vom Sassaniden-Heer und von skythischen Marodeuren in die Knie gezwungen, das Kuschana-Reich in zwei Teile. Das westliche Königreich wurde nach einer letzten Niederlage 248 von den Persern geschluckt; das östliche Königreich schrumpfte nach dem Verlust der Städte am Ganges in den 270er Jahren auf einen kleinen Rumpfstaat zusammen. Weiter im Süden hatte das Shatavahana-Reich, eines der großen Handelsimperien des 2. Jahrhunderts, alle Hände voll mit den Skythen zu tun, bis es 236 unter der Last zerbrach.
Mancur Olson, der Wirtschaftswissenschaftler, von dem ich in Kapitel 1 den Begriff des »stationären Banditen« übernommen habe, stellte diesen relativ harmlosen Dieben die durch und durch übelwollenden »durchziehenden Banditen« gegenüber. Während stationäre Banditen kamen, sahen, siegten und verwalteten, kamen Letztere, sahen, stahlen und machten sich davon. Die Reiche des 1. Jahrtausends v. Chr. florierten in erster Linie, weil ihre stationären Banditen in der Regel stark genug waren, durchziehendeBanditen fernzuhalten, aber im 3. Jahrhundert n. Chr. war das nicht mehr der Fall. Fast überall in Eurasien sorgten kontraproduktive Kriege für den Zerfall der großen, friedlichen und wohlhabenden alten Reiche.
Wenn auch nicht ausnahmslos. Die große Ausnahme war Persien, wo nach dem Sturz der Parther 224 n. Chr. die nachfolgende Sassaniden-Dynastie Triumphe feierte. Sie zerschlug die Armeen von Kuschana und den Römern, trieb die Steppennomaden zurück und sorgte für eine Zentralisierung der Macht. 270, als der große Eroberer Schapur I. starb, war Ktesiphon, die Hauptstadt des Sassaniden-Reichs, eine der prächtigsten Städte der Welt.
Bei näherer Hinsicht jedoch stellen wir fest, dass die Sassaniden gar keine Ausnahme waren, weil die Regel in diesen Jahren nicht einfach die des
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