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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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Kalifen von Damaskus bzw.Bagdad aus weit über elf Millionen Quadratkilometer und damals eines der größten Reiche der Geschichte; in der Praxis jedoch nahm außerhalb Syriens und des Iraks kaum jemand Notiz von ihnen. Der indische Ausschlag um 150 n.   Chr., der für das Kuschana-Reich steht, erzeugt ein anderes Problem: Die Kuschana herrschten zwar über sechs Millionen Quadratkilometer, nur dass der größte Teil davon praktisch menschenleer war.
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    Abbildung 3.7»Ein verdammtes Ding nach dem andern?«  
    Aufstieg und Fall (und Aufstieg, und Fall …) von Leviathanen in Eurasiens Glücklichen Breiten, wie die Größe des jeweils größten Staats in jeder Region sie widerspiegeln, 1–1400 n.   Chr.

    Aber trotz dieser (und anderer) Probleme liefert diese verwickelte Darstellung doch einen ganz wichtigen Beweis. Zwischen dem 2. und dem 14. Jahrhundert gab es nicht viele Jahre, in denen alle Regionen der Glücklichen Breiten sich in ein und dieselbe Richtung entwickelten. Für jedes Reich, das im Aufsteigen begriffen war, ging ein anderes unter. Das goldene Zeitalter der einen Gesellschaft war das dunkle Zeitalter einer anderen.
    Was das zu bedeuten hat? Die offensichtliche und bei Historikern besonders beliebte Interpretation besteht darin, in der Vergangenheit – wie der brillante Universalgelehrte Arnold Toynbee es in den 1950er Jahren ausgedrückt hat – »ein Chaos« zu sehen, »das [wissenschaftlichen] Gesetzen nicht zugänglich« sei, »eine sinnlose Aufeinanderfolge von Ereignissen, dieein englischer Romancier des 20. Jahrhunderts, der auch Poeta laureatus war, Odtaa nannte, was für ›ein verdammtes Ding nach dem andern‹ (one damned thing after another) steht«. 18 Oberflächlich betrachtet, nimmt Abbildung 3.7 sich aus wie der Inbegriff von Odtaa. Imperien steigen auf und fallen; Schlachten werden gewonnen und verloren; aber es ändert sich nicht viel. Alles ist eine Ausnahme von allem anderen.
    Toynbee freilich beschwor Odtaa nur, um das Konzept zu verwerfen. Nach jahrzehntelangem Studium der Weltgeschichte wusste er sehr gut, dass die Geschichte voll großer Schemata ist, die über Odtaa hinausgehen; und ich denke, er hätte in dieser Grafik wohl gleich mehrere von diesen Schemata gesehen. Zuerst dürfte ihm aufgefallen sein, dass hier ein offensichtlicher Trend zu sehen ist. Hinter all dem Chaos nahm die Größe der Reiche im Verlauf der ersten 1   400 Jahr n.   Chr. stetig ab. Die Glücklichen Breiten waren ein Friedhof der Imperien geworden.
    Zweitens hätte Toynbee mit Sicherheit gesehen, dass die enormen Schwankungen in der Größe der Staaten eben nicht einfach Odtaa sind: Sie erfolgen in einem sich wiederholenden Schema von Aufschwung und Niedergang. Auf kontraproduktive Kriege, die die Größe eines Reiches nach unten treiben, folgten produktive Kriege, die sie wieder nach oben treiben, nur damit der nächste unproduktive Krieg Leviathan wieder zerbricht. Statt Odtaa waren die Glücklichen Breiten in einem schrecklichen Kreislauf gefangen.
    Die Erklärung dafür ist unschwer zu finden. Die Tatsache, dass der Kulminationspunkt des produktiven Kriegs überschritten war, hatte Steppen und Agrarreiche miteinander verschweißt. Jede Aktion verursachte von nun an eine entsprechende Gegenreaktion. Trieben im einen Augenblick Pest, Aufstände und Invasionen ein Reich in einen kontraproduktiven Krieg, bei dem Millionen den Tod fanden, führten im nächsten lokale Kriegsherren – oder Invasoren – neue produktive Kriege, nutzten das Vakuum, um einen weiteren Leviathan hervorzubringen. Dessen mit festlichem Gepränge inthronisierter König gab sich alle Mühe, um wieder für Gesetz und Ordnung zu sorgen und seinen Untertanen Steuern abzupressen; nur damit der Reichtum des neuen Staats weitere Marodeure und Rebellen anzog, was zu einer erneuten Abwärtsspirale kontraproduktiver Kriege führte … und so weiter.
    Dabei pendelte jede Region der Glücklichen Breiten nach ganz eigenem Zeitplan zwischen produktivem und kontraproduktivem Krieg. Was in der Regel daran lag, dass der Erfolg des einen Königreichs bei der Abwehr vonMarodeuren in der Regel den Druck auf benachbarte Königreiche erhöhte. Einige der Migrationen aus den Steppengebieten waren so gewaltig, dass die betreffenden Völker überall gleichzeitig einzufallen schienen wie etwa die Hunnen, die sich im 5. Jahrhundert plündernd einen Weg von Indien nach Italien bahnten, oder die Mongolen, die im 13. Jahrhundert jedes

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