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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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    Europa war tief gesunken seit der großen Zeit Roms. Nachdem im späten 6. Jahrhundert Justinians Versuch, den Mittelmeerraum wieder zu vereinigen, gescheitert war, drohte im 7. das ganze Byzantinische Reich zu zerfallen. Mit Beginn der 630er Jahre kamen Araber mit dem neuen Glauben des Islams aus der Wüste und überwältigten die winzigen Armeen, die das Reich sich damals noch leisten konnte. Ab etwa 650 zwangen sie die persischen Sassanidenherrscher in die Knie, und das nächste halbe Jahrhundert über sah es ganz so aus, als würde es Byzanz genauso ergehen.
    Spätestens 750 n.   Chr. hatten die muslimischen Kriegshaufen überall zwischen Marokko und Pakistan triumphiert; ihre Marodeure drangen bis tief nach Frankreich vor und belagerten Konstantinopel, nur dass die Kalifen ihren Leviathan nie so recht auf eine feste Basis zu stellen vermochten. Von den ersten Tagen des Islams an war die Stellung der Kalifen eine mehrdeutige irgendwo zwischen einem von Gott inspirierten Nachfolger Mohammeds und einem konventionellen König. Nie vermochten sie ihre religiöse Autorität über einen kleinen Teil ihres großen Reichs hinaus in eine säkulare Herrschaft umzumünzen. Im 9. Jahrhundert waren viele lokale Sultane effektiv unabhängige Herrscher, die einander ebenso bekämpften wie die Kalifen und jeden anderen, der ihres Weges kam.
    Hoch oben im Nordwesten schufen die Germanen, die das Weströmische Reich überrannt hatten, ein neues Königreich, das produktive Kriege führte, wenn es starke Könige hatte, und kontraproduktive, wenn seine Könige schwach waren. Der produktivste seiner Herrscher war der Frankenkönig Karl der Große, der zwischen 771 und 814 einen Gutteil West- und Mitteleuropas eroberte. Die Bürokraten in den hölzernen Hallen seiner Hauptstadt Aachen setzten die lokale Aristokratie unter Druck, nötigten ihr Steuern ab, förderten die Lese- und Schreibfähigkeit eben jener Untertanen des Königs, unter denen sie Ordnung zu schaffen versuchten.
    800 n.   Chr. drückte ein eingeschüchterter Papst Karl dem Großen eine Krone aufs Haupt und ernannte ihn zum Kaiser des Heiligen Römischen Reichs. Der Traum eines wiederbelebten Römischen Reichs währte jedoch nur kurz. Unmittelbare Folge war, dass Sohn und Enkel Karls des Großen viel zu sehr mit ihren Zwistigkeiten untereinander beschäftigt waren, als dass sie groß Zeit gehabt hätten, die ungebärdigen Aristokraten bei der Stange zu halten. »Diese Ursache rief große Kriege hervor«, klagte ein zeitgenössischer Chronist, »nicht etwa weil es den Franken an Fürsten gefehlt hätte, die durch Adel, Tapferkeit und Weisheit über die Reiche herrschen konnten, sondern weil unter ihnen selbst die Gleichheit des Geschlechtes, der Würde und Macht Zwietracht erwachsen ließ, da Niemand die andern so sehr überstrahlte, dass die übrigen sich dazu verstanden hätten, seiner Hoheit sich zu unterwerfen.« 20
    Schon vor dem Tod Karls des Großen hatten erneut Marodeure – diesmal die Wikinger, die auf Langschiffen aus dem Norden, und die Magyaren, die zu Pferde aus dem Osten kamen – die Reichtümer zu plündern begonnen, die seine produktiven Kriege geschaffen hatten. Aachen war schlicht zuweit von den Grenzen entfernt, um auf diese Überfälle zu reagieren, und so sprangen lokale Aristokraten in die Bresche, um die Sicherheitslücke zu schließen. Noch nicht einmal Karl der Große hätte die Kräfte des kontraproduktiven Kriegs in Schach halten können, und 885 n.   Chr., als der weit weniger große Kaiser Karl der Dicke so augenfällig nicht nach Paris kam, während Graf Odo der Belagerung durch die Wikinger standhielt, bestand das Reich effektiv nur noch auf dem Papier.
    Das Motto dieser chaotischen neuen Welt hieß »Rette sich, wer kann«. Der erste Hinweis in unseren Quellen auf einen Mann, der vielen Herren diente, findet sich denn auch nicht von ungefähr zehn Jahre nach Odos Verteidigung von Paris, und in den 1380er Jahren war das Problem so schlimm geworden, dass ein französischer Kleriker eine Universallösung vorschlug: Der Krieger, der zu vielen Herren verpflichtet ist, so schlug er vor, sollte für den ersten Herren kämpfen, dem er Treue geschworen hat, während er sich seiner Verpflichtungen seinem zweiten (dritten, vierten usw.) Herrn gegenüber dadurch entledigt, dass er Vertreter verdingt, die an seiner Statt für ihn in den Krieg ziehen.
    Was sich freilich nicht durchsetzte, vielleicht weil Stellvertreter

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