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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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diese Behauptungen stimmen, muss Hansons Ansicht, dass es die Kontinuitäten der westlichen Kriegführung waren, die Europas Durchstarten bei Schusswaffen erklären, falsch sein. Und wenn wir uns genauer ansehen, was im 16. Jahrhundert in Europa passierte, gibt es einfach zu vieles, was sich durch die westliche Kriegführungstheorie nicht erklären lässt.
    Da andere Historiker sich bereits eingehend mit diesem Thema befasst haben, konzentriere ich mich hier nur auf einige Fragen. Wenn es wirklich »dieser westliche Wunsch nach einem einzigen, prachtvollen Zusammenprall der Infanterie ist, nach brutalem Töten mit Klingenwaffen auf dem Schlachtfeld zwischen freien Männern, der unsere Gegner in der nichtwestlichen Welt über mehr als 2   500 Jahre verwirrt und entsetzt hat«, so abermals Hanson, wie kam es dann dazu, dass es im Mittelpunkt des neuen europäischen Kampfstils stand, auf Abstand zu bleiben und Feuerwaffen einzusetzen, anstatt weiterhin im Nahkampf Klingenwaffen einzusetzen? Wenn die westliche Art der Kriegführung immer nur auf »die absolute Vernichtung der feindlichen Truppen im Feld« abzielte und es ihr darum ging, »tödliche Schläge zu führen und dann standfest, ohne Rückzug, auszuhalten, was an Gegenschlag kommen würde« 9 , warum schlugen die Europäer dann in dem entscheidenden Jahrhundert von 1534 bis 1631 so wenige Schlachten? Und wenn es tatsächlich »in den vergangenen 2   500 Jahren« so etwas gab wie »eine eigentümliche westliche Kriegführung, eine gemeinsame Grundlage und durchgängige Kampfweise, die Europäer zu den tödlichsten Soldaten in der Kampfgeschichte machte« 10 , warum waren sie dann ein ganzes Jahrtausend lang – von etwa 500 bis 1500 n.   Chr. – allgemein auf dem Rückzug vor Eindringlingen und Invasoren aus Asien und Nordafrika?
    Manche Historiker geben auf alle diese Fragen eine äußerst pragmatische Antwort. Nach ihrer Auffassung hatte Europas Schusswaffenrevolution nichts mit kulturellen Traditionen zu tun. Vielmehr waren die Europäer nach dieser Theorie nur gut im Umgang mit Schusswaffen, weil sie viel kämpften. Europa bestand aus vielen Kleinstaaten, die ständig miteinander in Fehde lagen. China war von 1368 bis 1911 weitgehend ein einziges Reich. Folglich kämpften die Chinesen selten und hatten wenig Grund, in bessere Waffen zu investieren. Für die verfehdeten Europäer waren Investitionenin bessere Waffen dagegen eine Frage von Leben und Tod. Deshalb perfektionierten die Europäer, und nicht die Chinesen, die Feuerwaffen.
    Aber auch diese Sicht lässt wesentliche Fragen unbeantwortet. Trotz der Einheit gab es in China zwischen 1368 und 1911 zahlreiche Kriege, neben denen sich die europäischen Kämpfe wie Scharmützel ausnahmen. Chinesische Kaiser boten 1411 und erneut 1449 gegen die Mongolen Armeen mit einer Truppenstärke von einer halben Million Mann auf. Das 16. Jahrhundert war weitgehend erfüllt vom Kampf gegen Piraten. In den 1590er Jahren verwüstete ein furchtbarer Krieg gegen Japan die koreanische Halbinsel. Und 1600 machte China eine viertel Million Mann mobil, um eine Revolte in Sichuan niederzuschlagen. Warum war keiner dieser Kriege ein Ansporn zu ähnlichen Innovationen bei den Feuerwaffen wie in Europa?
    Entscheidend war nicht die Menge, sondern die Art der Kriege, die Europäer und Asiaten führten, wie der Historiker und Jurist Kenneth Chase in seinem hervorragenden Buch Firearms. A Global History to 1700 erklärt. Die ersten Feuerwaffen waren unhandliche, schwerfällige Geräte, deren Feuergeschwindigkeit sich nicht in Schuss pro Minute, sondern eher in Minuten pro Schuss bemaß. Wirksam waren sie eigentlich nur gegen schwerfällige oder unbewegliche Ziele wie Stadtmauern, weshalb die ersten großen Fortschritte auch bei der Belagerungsartillerie erzielt wurden.
    Anfangs war Südchina die Brutstätte der Innovation, weil die Kriege gegen die mongolische Oberherrschaft im Jangtse-Tal Mitte des 14. Jahrhunderts zu gewinnen waren, indem man Festungen stürmte und große Kriegsschiffe auf dem begrenzten Raum des Flusses versenkte. Für beide Aufgaben waren frühe Geschütze hervorragend geeignet. Aber als diese Auseinandersetzungen 1368 endeten, verlagerte sich das Hauptkampfgebiet in die Steppen Nordchinas. Hier gab es kaum Festungen zu bombardieren, und gegen schnelle Kavallerie waren langsam feuernde Geschütze nutzlos. Als vernünftige Menschen setzten chinesische Generäle ihr Geld lieber für zusätzliche Reiter und eine

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