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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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und nach zeigte sich, dass seine zufällige Entdeckung der Neuen Welt wesentlich spannender war. Mit dem Transport amerikanischer Reichtümer – Gold, Silber, Tabak und Kakao – nach Europa und der Verschiffung von Afrikanern nach Amerika, um diese kostbaren Güter zu produzieren, war ordentlich Geld zu verdienen. Europäische Seefahrer verwandelten den Atlantik von einer Barriere in eine Hauptverkehrsader.
    Es war allerdings ein gefährlicher Verkehrsweg. Wie das Mittelmeer vor der römischen Eroberung und die Steppe vor den Mongolen lag auch der Atlantik weitgehend jenseits der Gesetze Leviathans. War ein Schiff erst einmal außer Sichtweite von Cádiz oder Lissabon, war alles möglich. Jeder (gelegentlich auch jede), der (bzw. die) ein kleines Schiff, ein paar Kanonen und keinerlei Skrupel hatte, konnte sich beliebig an der Ausplünderung von Kontinenten beteiligen. Das goldene Zeitalter der Piraterie war angebrochen.
    Der globale Krieg gegen die Piraterie, der im 16. Jahrhundert überall von der Karibik bis in die Formosastraße ausgetragen wurde, war ein weiterer asymmetrischer Kampf. Leviathane konnten immer gewinnen, wenn sie wollten, aber die Strategie von Räumen, Halten und Aufbauen, die Pompeius Magnus im 1. Jahrhundert v.   Chr. im Mittelmeerraum entwickelt hatte, kostete Geld. Im Großen und Ganzen rechneten Staaten sich aus, dass es weniger kostete, sich mit den Piraten abzufinden, als sie zu bekämpfen. Warum sollten sie sich also damit abgeben? Gewiefte Bürokraten konnten die Piraterie sogar für ihre eigenen Zwecke nutzen, indem sie Bestechungsgelder kassierten, wenn sie ein Auge zudrückten, oder die Seeräuber sogar zu »Freibeutern« ernannten, die Schiffe anderer Länder völlig legal ausrauben durften. Dabei gingen vielleicht ein paar unvorsichtige Seefahrer über die Planke, aber dieser Preis schien vergleichsweise gering zu sein.
    Die Seefahrer fanden diesen Preis allerdings als sehr hoch und taten das Naheliegende: Sie bewaffneten ihre Schiffe. Karavellen und Karackenließen sich nur mit einigen wenigen Geschützen ausrüsten, aber bis 1530 entwickelten portugiesische Schiffsbauer einen neuen Schiffstyp, die Galeone, die einer schwimmenden Geschützstellung gleichkam (Abbildung 4.6.). Der lange, schlanke Rumpf, die drei bis vier Masten und ein kleines Vorder- und Achterkastell machten die Galeone schnell, aber der eigentliche Vorteil bestand in den Geschützen, die sich entlang der gesamten Schiffslänge aufreihten und aus Geschützpforten knapp oberhalb der Wasserlinie acht Pfund schwere Eisenkugeln über 500 Meter weit abfeuern konnten.
    Zweitausend Jahre lang hatten Kapitäne gekämpft, indem sie auf das gegnerische Schiff zuhielten, es rammten und enterten, aber nun lernten sie, längsseits zu gehen und den Gegner unter beißenden Rauchschwaden zu beschießen. Noch immer kamen Entermesser und Dolch reichlich zum Einsatz, aber nun wurden Seeleute eher durch Holzsplitter getötet – ein harmlos klingendes Wort für scharfkantige, fußlange Bruchstücke von Eichenplanken, die in alle Richtungen flogen und Arme und Köpfe wegrissen, wenn eine Kanonenkugel einen Schiffsrumpf durchschlug. Ein Zeuge eines solchen Gemetzels beschrieb Decks, »mit viel Blut getränkt, Masten und Takelage voller Hirn, Haare und Schädelstücke«. 12
    Feuerwaffen hielten nicht nur Piraten in Schach, sondern wurden auch zu einer eigenen einträglichen Einkommensquelle, weil Asiaten für diese teuflischen Waffen gut bezahlten. Einige von da Gamas Leuten verließen sein Schiff und ließen sich als Geschützmacher für den Sultan von Kalikut in Indien nieder, dem sie innerhalb eines Jahres 400 Geschütze verkauften. Die ersten Portugiesen, die 1521 China erreichten, gossen auch Kanonen für den örtlichen Markt, und bereits 1524 stellten auch chinesische Handwerker Geschütze und gekörntes Schießpulver her.
    Ein Extremfall war Japan. Als ein Sturm drei Portugiesen 1542 dort an Land trieb, verkauften sie umgehend ihre Musketen, die auf dem damals modernsten Stand der Technik waren, an einen dortigen Fürsten und brachten seinen Schmieden bei, wie man sie herstellte. Bereits in den 1560er Jahren waren japanische Feuerwaffen technisch ebenso ausgefeilt wie europäische und machten herkömmliche Festungen ebenso effektiv obsolet. Im Gegensatz zu Europa entwickelte sich die Verteidigungstechnik in Japan jedoch nicht so schnell weiter wie die Angriffstechnik, vielleicht weil fortgeschrittene Feuerwaffen so plötzlich

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