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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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große Mauer ein statt für schrittweise Verbesserungen von Feuerwaffen.
    Europa hatte – zumindest was Feuerwaffen anging – mehr mit dem Süden als dem Norden Chinas gemeinsam. Es war voller Festungen und zerklüfteter Landschaften, die Armeen in ihrem Vormarsch hemmten, und weil es so weit von den Steppengebieten entfernt war (was Kavallerie teuer machte), umfassten europäische Heere immer viele langsam ziehende Infanteristen. In dieser Umgebung war es durchaus sinnvoll, herumzutüfteln,um Feuerwaffen jeweils ein bisschen zu verbessern. Und bis 1600 waren so viele Verbesserungen zusammengekommen, dass europäische Streitkräfte sich zu den besten der Welt entwickelt hatten.
    Hätten die Kaiser der Ming-Dynastie eine Kristallkugel besessen und voraussehen können, dass Feuerwaffen im 17. Jahrhundert effektiv genug sein würden, die Reiternomaden zu besiegen, hätten sie sicher langfristig gedacht und in die Entwicklung von gekörntem Schießpulver, Musketen und schmiedeeisernen Kanonen investiert. Aber in Wirklichkeit kann niemand die Zukunft vorhersehen. Wir können lediglich auf die unmittelbaren Herausforderungen reagieren, vor die wir gestellt sind. Chinesen investierten nicht in Feuerwaffen, weil es damals nicht sinnvoll war, und wegen all dieser sinnvollen Entscheidungen eroberte Europa (beinah) die Welt.
Gegenleistung
    Europäer hatten im 14. Jahrhundert Feuerwaffen kennengelernt, weil Reisende, Händler und Krieger sie durch Eurasien nach Westen gebracht hatten. Im 16. Jahrhundert lernten Asiaten verbesserte europäische Feuerwaffen kennen, weil Reisende, Händler und Krieger sie wieder mit nach Osten brachten. Es war eine Art Gegenleistung.
    Als erste erfuhren die Osmanen, die die Grenze zwischen Europa und Asien überbrückten, von den europäischen Feuerwaffen. In der Regel hinkte die türkische Feuerkraft hinter der europäischen her, war aber dem Schießwesen in weiter östlichen und südlichen Ländern durchgängig um Jahrzehnte voraus. Auf Wagen montierte Artilleriegeschütze streckten 1514 in der Schlacht bei Cahaldoran im äußersten Westen des heutigen Iran die besten persischen Reiter nieder und zwei Jahre später in der Schlacht von Marj Dabiq in der Nähe von Aleppo auch die besten ägyptischen Reiter. Damit errangen die Osmanen die Vorherrschaft im Nahen Osten.
    Eine Generation später lernte auch das Großfürstentum Moskau – das ebenfalls beidseits der europäisch-asiatischen Grenze lag –, westliche Feuerwaffen einzusetzen. Seit dem 13. Jahrhundert hatten sich die Russen ihr Überleben mit jährlichen Bestechungsgeldern von den Mongolen erkauft, aber im 16. Jahrhundert rächte sich Zar Iwan der Schreckliche. In den blutigen Kriegen gegen Schweden und Polen hatten die Russen den Umgang mit Feuerwaffen in Grundzügen gelernt, und nun stürmte Iwan die Wolgaentlang und zerstörte unterwegs alle Palisaden der Mongolen mit seiner Artillerie. Bis zu seinem Tod 1584 hatte er das Territorium des Großfürstentums Moskau verdoppelt, aber das war erst der Anfang. Russische Trapper überquerten 1598 mit neumodischen Musketen den Ural und standen 1639 am Pazifik.
    Unter gleichbleibenden Bedingungen hätten Karawanen vermutlich fortgeschrittene europäische Feuerwaffen auf der Seidenstraße nach Osten bis nach China gebracht, aber sie wurden von der zweiten großen Erfindung jener Zeit überholt: den seetauglichen Schiffen. Die Grundtechnologie entstand wie bei den Schusswaffen in Asien, wurde aber in Europa perfektioniert. So verfügten chinesische Schiffer schon 1119 über einen Magnetkompass. Über arabische Kaufleute, die diese Erfindung im Indischen Ozean aufgriffen, erreichte sie 1180 die Italiener im Mittelmeer.
    Im Laufe der folgenden 300 Jahre erzielten ostasiatische Schiffsbauer Durchbrüche bei Takelage, Steuerung und Rumpfkonstruktion. China besaß 1403 die weltweit ersten Trockendocks für die größten Segelschiffe. Diese Schiffe hatten mit wasserdichten Anstrichen versiegelte Laderäume, wurden von Frischwassertankern unterstützt und hätten jedes Ziel anlaufen können, das chinesische Seefahrer erreichen wollten. Zwischen 1405 und 1433 segelte der berühmte Admiral Zheng He mit Hunderten solcher Schiffe, bemannt mit Zehntausenden Seeleuten, nach Ostafrika, Mekka und Java.
    Im Vergleich dazu wirkten westliche Schiffe geradezu primitiv, aber wie bei den Feuerwaffen griffen Europäer asiatische Ideen auf und entwickelten sie in radikal veränderter Richtung weiter. Wieder einmal

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