Krieg – Wozu er gut ist
stand dahinter eine elementare Triebkraft: Europas Geografie stellte die Menschen vor andere Herausforderungen als die asiatische, und in dem Bestreben, ihnen gerecht zu werden, fanden die Europäer in ihrer relativen Rückständigkeit enorme Vorteile.
Westeuropa war im 15. Jahrhundert allem Anschein nach der Teil der Glücklichen Breiten Eurasiens, der die ungünstigste Lage hatte – nur »eine entlegene Halbinsel am Rande«, wie es der Wirtschaftswissenschaftler und Entwicklungstheoretiker André Gunder Frank nannte 11 , fernab von den eigentlichen Zentren in Süd- und Ostasien. Europäische Kaufleute wussten genau über die Reichtümer Chinas und Indiens Bescheid und hatten jahrhundertelang nach einfachen Handelsrouten zu den boomenden Märkten des Orients gesucht. Aber nach 1400 verschlechterte sich die Lage allenfalls.Der Zerfall der Mongolenkönigreiche machte die Seidenstraße durch die Steppe gefährlicher, und die von den Osmanen erhobenen Zölle verteuerten die Alternativroute (über Land von Syrien an den Persischen Golf). Die beste Lösung schien, die dazwischenliegenden Königreiche zu umgehen und um die Südspitze Afrikas nach Asien zu segeln, aber niemand wusste, ob das überhaupt möglich war.
Kein Teil Europas lag günstiger, das herauszufinden, als Portugal. Nach der Eroberung Ceutas drangen portugiesische Schiffe an der afrikanischen Westküste entlang vor. Das Fortkommen war mühsam. Auf dem Mittelmeer herrschten Rudergaleeren vor, die aber für die Entfernungen und Winde auf dem Atlantik schlecht geeignet waren. Dieses Problem war offenbar so schwerwiegend, dass Prinz Heinrich, einer der Eroberer Ceutas und dritter in der portugiesischen Thronfolge, sich persönlich dafür einsetzte, bessere Schiffe zu bauen.
Schon bald zahlte sich das Projekt aus: Es brachte die Karavellen hervor, winzige Schiffe von 15 bis dreißig Metern Länge und knapp fünfzig Tonnen Tragfähigkeit, die in Zheng Hes Augen lächerlich gewirkt hätten, aber ihren Zweck erfüllten. Durch ihren geringen Tiefgang konnten sie verschlickte afrikanische Flussmündungen erkunden, waren durch ihre Rahsegel schnell und durch ihre Lateinersegel wendig. Portugiesische Schiffe entdeckten 1420 Madeira und 1427 die Azoren. Innerhalb weniger Jahre entstanden auf diesen Inseln blühende Plantagen. Seefahrer erreichten 1444 den Fluss Senegal, der ihnen Zugang zu Gold aus afrikanischen Minen verschaffte. Im Jahr 1473 überquerten sie den Äquator und stießen 1482 auf die mächtige Kongomündung (Abbildung 4.5).
Alles lief hervorragend. Aber jenseits des Kongo stießen die Karavellen (und neuere, größere Versionen, die Karacken) auf starke Gegenwinde. Die weitere Erkundung kam ins Stocken, bis europäische Seefahrer – die vor nichts zurückschreckten – zwei Lösungen fanden. Zunächst kam Bartolomeu Dias 1487 auf die bahnbrechende Idee, die Technik der volta do mar , »Rückkehr auf dem Seeweg«, für seine Entdeckungsfahrten nach Süden zu nutzen. Dazu musste er sich auf den unkartierten Atlantik wagen in der Hoffnung, dort auf günstige Winde zu treffen, die ihn um die Südspitze Afrikas bringen würden. Triumphierend umrundete er das Sturmkap, wie er es nannte, also das heutige Kap der Guten Hoffnung. Da ich schon selbst versucht habe, während der dort heulenden Stürme zu schlafen, finde ich seine Namensgebung durchaus treffend. Seine Seeleute meuterten (verständlicherweise), weil sie bei derart schlechten Wetterverhältnissen nicht weitersegeln wollten. So blieb es Vasco da Gama überlassen, 1498 eine zweite Expedition um das Kap zu unternehmen und nach Indien weiterzufahren.
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Abbildung 4.5Karte Afrikas
Orte, die in diesem Kapitel erwähnt sind.
Die zweite Lösung, die Christoph Kolumbus verfolgte, war noch drastischer. Wie alle gebildeten Europäer wusste Kolumbus, dass die Erde eine Kugelwar und er – theoretisch – letztlich im Osten ankommen müsste, wenn er von Portugal aus nach Westen segelte. Zudem wussten die meisten gebildeten Europäer auch, dass die Erde einen Umfang von etwa 40 000 Kilometern hat und diese Route nach Indien somit zu lang wäre, um rentabel zu sein. Aber Kolumbus weigerte sich, das zu akzeptieren, und bestand darauf, er werde nach knapp 5000 Kilometern Seeweg Japan erreichen. Schließlich trieb er 1492 die Geldmittel auf, die er brauchte, um seine Theorie zu beweisen.
Kolumbus starb in der Überzeugung, er habe das Land des Großkhans auf dem Seeweg erreicht, aber nach
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