Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
Vom Netzwerk:
transportieren. Marco Polo war lediglich der berühmteste dieser Kaufleute. Durch die Verbreitung von Waren (vor allem Seide) und Ideen (insbesondere des Christentums) verbanden sie Ost und West, brachten aber auch Krankheitserreger mit (der Schwarze Tod), die allen zum Verhängnis wurden. Von allen Segnungen und Übeln, die sie transportierten, reichte nichts in seiner Bedeutung an die Feuerwaffen heran.
    Aber auch die Nachfrageseite war wichtig. Europäer zeigten mehr Begeisterung für Feuerwaffen als sonst jemand auf der Erde, erkannten auf Anhieb ihre Einsatzmöglichkeiten und stürzten sich darauf, sie zu verbessern. Nur fünf Jahre nach der ersten Erwähnung von Feuerwaffen in Florenz setzten andere Italiener Kanonen 1331 bei Belagerungen ein. Und 1372 gelang es, mit solchen Kanonen in Frankreich Stadtmauern zu durchbrechen.
    Nun geschah etwas Bemerkenswertes. In Ostasien verlangsamten sich die Innovationen bei Feuerwaffen nach 1350, während sie sich in Europa beschleunigten. Als die Nachfrage wuchs, entwickelten Europäer neue Abbaumethoden für Salpeter, die dessen Kosten bis 1410 um die Hälfte senkten. In der Folge stellten die Metallwerker größere, preisgünstigere schmiedeeiserne Geschütze her, die mehr Pulver brauchten und schwerere Kanonenkugeln abfeuern konnten. Nach der Schlacht von Azincourt stellten englischeSchützen den Wert der schweren Artillerie unter Beweis, indem sie innerhalb von sieben Jahren die Burgen der Normandie in Stücke schossen.
    [Bild vergrößern]
    Abbildung 4.4Karte Europas
    Orte, die in diesem Kapitel erwähnt sind. Die Grenzen des Osmanischen Reichs entsprechen denen von 1500 n. Chr.

    Ihre Erfahrungen unterstrichen aber auch die Nachteile großer Geschütze. Für Belagerungen eigneten sie sich hervorragend, aber große Kanonen waren so schwer zu bewegen und langwierig abzufeuern, dass sie auf dem Schlachtfeld im Grunde nutzlos waren. Selbst wenn eine Armee ihre Kanonen in Position bringen und auch nur einen einzigen Schuss abgeben konnte, bestand die Gefahr, dass die gegnerische Kavallerie sie überrannte, lange bevor die Schützen nachgeladen hatten. Es war daher kein Zufall, dass Heinrich V. 1415 zwar ein Dutzend schwerer Geschütze zur Beschießung von Harfleur einsetzte, bis die Stadt sich ergab, aber keine Kanonen in die Schlacht von Azincourt mitnahm.
    Innerhalb von zwanzig Jahren kamen die unermüdlichen Artilleristen auf eine brillant einfache Lösung. Anhänger des tschechischen Reformators Jan Hus stellten zahlreiche kleine Geschütze her und befestigten sie auf Wagen. Diese Wagen zogen sie auf das Schlachtfeld, ketteten sie aneinander und schufen so kleine mobile Festungen, die Wagenburgen. Es dauerte zwar noch genauso lange wie zuvor, die Geschütze abzufeuern, aber nun konntenSchwertkämpfer und Pikeniere hinter den Wagen angreifende Reiter abwehren, bis die Kanonen nachgeladen waren.
    Diese Wagenburgtaktik sorgte 1444 beinah für eine große militärische Sensation. Über eineinhalb Jahrhunderte hinweg hatten sich die Osmanen – einer der vielen turkmenischen Stämme von Steppenkriegern, die im Mittelalter in die Glücklichen Breiten eingewandert waren – von ihrem Kerngebiet in Anatolien aus ausgebreitet. Nachdem sie einen Großteil des Balkans überrannt hatten, bedrohten ihre berittenen Bogenschützen nun Ungarn. Der Papst rief zum Kreuzzug auf, und eine christliche Koalition (mit einem transsilvanischen Kontingent unter der Führung des Bruders von Vlad II. Dracul, genannt »der Pfähler«) stellte sich dem Vormarsch der Türken bei Varna im heutigen Bulgarien in den Weg.
    Da die Türken die besten Soldaten in Europa waren und über eine doppelt so hohe Kampfstärke wie ihre Gegner verfügten, hätte die Schlacht eigentlich ein Leichtes für sie sein müssen. Aber als eine Welle osmanischer Reiter nach der anderen bei dem Versuch erschossen wurde, in die christliche Wagenburg einzudringen, sank die türkische Kampfmoral. Eine Zeitlang hing die Schlacht in der Schwebe, und hätte der junge ungarische König nicht beschlossen, einen Vorstoß mitten in die türkischen Linien zu wagen, bei dem 500 Ritter getötet wurden, hätte man den osmanischen Vormarsch vielleicht zum Stillstand gebracht.
    Aber so schluckten die Osmanen nicht nur Ungarn, sondern zogen auch die richtigen Lehren aus dem knappen Ausgang der Schlacht. Sie begannen, christliche Schützen anzuwerben, und waren 1448 so weit, dass sie die Wagenburgtaktik gegen die Ungarn wenden konnten. Nach

Weitere Kostenlose Bücher