Krieg – Wozu er gut ist
aufgetaucht waren und sich nicht wie in Europa über zwei Jahrhunderte hinweg weiterentwickelt hatten. Ganzgleich, welche Ursachen es auch haben mochte, jedenfalls brachte ein Herrscher das ganze Inselarchipel bis in die 1580er Jahre unter seine Kontrolle.
Schusswaffen europäischen Stils waren so gefragt, dass Asiens Militärs bald sämtliche modernen Feuerwaffen als »fränkisch« bezeichneten (persisch farangi, indisch firingi , chinesisch folangji ). Zudem übernahmen sie europäische Kampftaktiken und fanden heraus, dass sich mit Wagen voller moderner Musketen und Kanonen tatsächlich Reiterheere aus der Steppe besiegen ließen.
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Abbildung 4.6Schwimmende Geschützstellungen
Französische und portugiesische Galeonen kämpfen vor der brasilianischen Küste gegeneinander; vermutlich 1562.
Prinz Zahir al-Din Muhammad Baburs Erfahrung war typisch. Seinen afghanischen Gefolgsleuten, die mit Bogen und Speer kämpften, gelang es nicht, Samarkand und Kabul zwischen 1501 und 1511 gegen den Ansturm usbekischer Reiter zu halten, und so musste er nach Indien fliehen. Dort engagierte Babur osmanische Berater, die ihn drängten, Feuerwaffen und Wagen anzuschaffen. In der Schlacht von Panipat errang er 1526 mit einem eindeutigen Sieg alles wieder zurück. Das von ihm gegründete Mogulreich entwickelte sich zum größten Reich der indischen Geschichte.
Chinesische Soldaten entdeckten offenbar unabhängig die Taktik der Wagenburg. Der Kommandeur der Verteidigungsanlagen von Peking stellte in den 1570er Jahren fest: »Wagen können als Schutzmauern eines Lagers dienen und die Stelle der Befestigungen einnehmen. Wenn feindliche Reiterheere sie umschwärmen, haben sie keine Möglichkeit, sie zu bedrängen; siesind wahrhaftig Mauern mit Füßen oder Pferde ohne Futter[-bedarf]. Aber alles hängt von den Feuerwaffen ab. Wenn die Feuerwaffen verloren gehen, wie können die Wagen dann standhalten?« 13
Manchmal gingen die Feuerwaffen tatsächlich verloren und die Wagen hielten nicht stand. Noch 1739 überwältigten afghanische Reiterscharen die Musketiere des indischen Mogulreiches, plünderten Delhi und nahmen den saphirbesetzten Pfauenthron mit. Aber insgesamt geschah zwischen 1550 und 1750 etwas Erstaunliches. Ausgerüstet mit neuen Waffen, erlangten die Reiche der Glücklichen Breiten schließlich die Herrschaft über die Steppe und durchbrachen den Zyklus produktiver und unproduktiver Kriege.
Den Herrschern gelang das nicht etwa, indem sie ihre Infanterie den Reitertrupps bis tief in die Wildnis nachjagen ließen, was so aufwändig blieb wie eh und je, sondern indem sie Bauern ansiedelten, die von den Rändern her nach und nach in das Grasland vordrangen. Sie bauten Gräben und Palisaden, schossen mit Musketen, kanalisierten die Wanderbewegungen der Nomaden und schränkten die Reitervölker ein, bis sie schließlich keinen Platz mehr hatten, sich zu verstecken. Erst dann setzten Herrscher ihre neue Artillerie ein, die leicht genug war, um sie weit in die Steppe ziehen zu können.
Vorwärts! Kanonen rechts und links
Kanonen in Front, gewärtig des Winks … 14
Das schrieb der Dichter Alfred Tennyson später über eine berühmte Schlacht zwischen Kavallerie und Kanonen im Krimkrieg, aber ganz ähnliche Szenen, wie sie sich zutrugen, als die leichte Brigade in der Schlacht von Balaklawa in ihren Untergang ritt, gab es im 17. und 18. Jahrhundert unzählige Male in der Steppe. Unter »Schrapnell- und Kartätschenschuss« ritten die Nomaden »in den Höllenrachen, ins Todestal«. Nur wenige kehrten zurück.
Zwischen 1500 und 1650 schnürten Russen und Osmanen den Westrand der Steppe ab. In Zentralasien drängten Moguln und Perser die Usbeken und Afghanen zwischen 1600 und 1700 zurück, und im Osten schluckte China zwischen 1650 und 1750 die endlosen Weiten Xinjiangs. Als sich russische und chinesische Staatsvertreter 1727 in Kjachta trafen, um einen Vertrag über ihren Grenzverlauf in der Mongolei zu unterzeichnen, hatten die Schießpulverreiche die Steppe als Hauptverkehrsader effektiv geschlossen.
Sobald die Nomaden aus der Gleichung ausgeschaltet waren, fand der produktive Krieg seine Fortsetzung. In der Sicherheit jenseits der geschlossenenSteppe blühten von der Türkei bis nach China außerordentliche Reiche auf. Nachdem die Osmanen ihre zentralasiatischen Flanken gesichert hatten, eroberten sie Nordafrika und stießen bis an die Donau vor. Russland vereinnahmte Sibirien, die Safawiden-Dynastie
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