Krieger der Stille
könnte. Aber alle Reiseagenturen waren geschlossen. Auf holografischen Hinweisschildern stand, dass sie am Tage der Inthronisation des neuen Kaisers des Imperiums wieder eröffnet würden. Und da alle privaten Deremats beschlagnahmt worden waren, saß Tixu auf Marquisat fest.
Er hatte nichts zu tun. Also beobachtete er, wie Arbeiter überall Bildschirme aller Größen installierten, damit die Duptinater die Krönung des Kaisers in allen Einzelheiten und an jeder Straßenecke oder auf jedem Platz verfolgen konnten. Vor allem sollten sie den verschwenderischen Prunk der Syracuser bewundern, den dieses Volk anlässlich der Inthronisation einer der ihren veranstaltete.
Duptinat schmückte sich. Die Spitzen der goldweißen Banner in den Farben der Ang-Dynastie flatterten im Wind, die Türme des Runden Hauses waren mit in allen Farben schillernden Behängen geschmückt. Diese Vorbereitungen zum Fest bildeten einen scharfen Kontrast zu den traurigen und verschlossenen Gesichtern der Menschen, denn die öffentlichen Hinrichtungsstätten waren inzwischen ebenso zahlreich wie die Bildschirme geworden. Fast an jeder Straßenecke bot sich den vorübereilenden Passanten das grausame Spektakel der Gefolterten, deren Todesschreie über die Stadt hallten.
Dann wurde der Oranger Zeuge, wie der junge Mann festgenommen wurde, der jeden Tag vor dem Feuerkreuz kniete und weinte, an dem Dame Armina Wortling ihr Leben aushauchte. Ihr Körper bestand nur noch aus einer unförmigen Masse. Sie hatte keine Haare mehr auf dem Kopf, weder Hals noch Brüste. Noch nie hatte Tixu einen Menschen so leiden gesehen …
Da stürzten sich plötzlich vier Interlisten in blauen Uniformen auf den Jugendlichen, der sich heftig wehrte und schrie.
»Lasst mich los! Ihr habt kein Recht, mich festzunehmen! Scheißkerle! Ihr hattet nicht das Recht, Dame Armina das anzutun … Jemand soll meine Mutter benachrichtigen. Jezzica Bogh. Sie ist Wäscherin im Palast. Sagt ihr, dass sie ihren Sohn Fracist festgenommen haben!«
Ein wütender Interlist brachte ihn mit seinem Schlagstock zum Schweigen.
Tixu durchstreifte weiter ziellos die Stadt und begegnete Scaythen in schwarzen oder grünen Kapuzenmänteln, die immer von Pritiv-Söldnern begleitet wurden. Er stieß auch auf Missionare der Kirche des Kreuzes, alle in safranfarbene Colancors gekleidet und mit finsteren Gesichtern. Bei jeder dieser Begegnungen beschlichen ihn dunkle Vorahnungen, doch glücklicherweise interessierten sich weder die Scaythen noch die Kirchenmänner für ihn.
Dann sah er, wie einer der Tempel zerstört wurde. Eine Kanone, die geschickt von einem Pritiv-Söldner bedient wurde, spie einen langen grünen Strahl aus. Von der prächtigen, mit Statuen verzierten Kuppel – die sicher in jahrelanger Arbeit von großen Künstlern erschaffen worden war – blieb nichts als ein Haufen schwarzer Asche
übrig, die von dem Tentakel eines Robotomaten aufgesaugt wurde.
Als abends das Feuerpferd hinter der Gebirgskette der Échine de la Marquise versank, wanderte Tixu über den steinigen Pfad zur Kate des Hirten hoch. Und wie am Vorabend aßen sie gemeinsam, und er hörte mit Vergnügen zu, als sein Gastgeber seine Gedichte rezitierte.
Als er dann auf seinem Strohsack unter den Wolldecken lag, an deren Geruch er sich inzwischen gewöhnt hatte, dachte er an Aphykit. Er konnte sich ihr Aussehen nicht vergegenwärtigen, ihre Gesichtszüge wurden immer verschwommener. Nichts wünschte er sich mehr, als bei ihr zu sein, aber der Zufall – war es wirklich ein Zufall? – wollte es anders. Widrige Umstände hielten ihn auf Marquisat fest, und er fühlte sich außerstande, den Lauf der Ereignisse zu verändern. Er war nichts als ein winziges Boot, das steuerlos auf einem sturmgepeitschten Meer dahintrieb. Er war nichts als eine Marionette – aber wessen Marionette? –, die mit grausam perverser Lust irgendwo hin gezogen wurde. Er war nichts als ein menschliches Atom in der unendlichen Weite des Alls …
Dann konzentrierte er sich wieder auf das Antra. Und genau wie am gestrigen Nachmittag, als der Klang des Lebens ihn bis zum Hort der Stille getragen hatte, tauchten erneut Bilder aus seiner Vergangenheit auf … Eine Folge vergessener Gesichter und Landschaften … Seine Cousins, die ihn aus Boshaftigkeit quälten, seine Cousine, deren sich langsam rundende Formen ihn verstörten, seine so sanfte und traurige Mutter, deren liebevolles Streicheln ihn tröstete …
Und wieder fragte sich
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