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Krieger der Stille

Krieger der Stille

Titel: Krieger der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Bordage
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hehr –
Kann ohne sich selbst zu verstricken
In die Seele seines Freundes blicken?
     
    Platonischer Vers

     
    O bwohl Tixu sehr früh an diesem Morgen erwachte – drei Stunden vor seinem Gastgeber – fühlte er sich frisch und munter.
    Schon vier Tage saß er untätig auf dem Planeten Marquisat herum. Aphykits erneuter Hilferuf machte ihm Sorgen. Er legte eine dicke Wolldecke um seine Schultern und trat vor die Tür der Hütte. Dort setzte er sich auf einen großen Stein. Die Kühle der Nacht prickelte auf seiner Haut. Die schmale goldbraune Sichel des Sandmondes, des letzten Nachtgestirns des Marquisats, durchzog den indigoblauen, mit Sternen übersäten Himmel mit orangefarbenen Streifen.
    Eine friedliche Stille umgab das imposante Massiv der Échine de la Marquise. Unter ihm, im fernen Abgrund der Hauptstadt, waren nur vereinzelte Lichter zu sehen.
    Das Antra machte sich in ihm bemerkbar. Tixus Geist nahm es gierig auf, so als wäre es ihm inzwischen unentbehrlich geworden. Eigentlich gefiel ihm diese Abhängigkeit nicht, doch gleichzeitig wusste er intuitiv, wie wichtig es war, dass der Klang ihn innerlich rein machte.
    Er sah Bilder aus seiner frühen Kindheit. Wieder hörte er die etwas heisere Stimme seiner Mutter, wie sie ihm von seinem nie gekannten Vater erzählte. Sie nahm ihn zärtlich in die Arme, drückte ihn an ihre Brust. Ihr langes bernsteinfarbenes Haar kitzelte seine Wangen. Er lief
mit ihr durch die Straßen von Phaucille, und er entdeckte voller Entzücken buntes Spielzeug in den Schaufenstern der Geschäfte. Sie kaufte ihm ein altes elektronisches Geduldsspiel, mit dem er sich eine ganze Weile beschäftigte, während sie beide auf einer der Parkbänke inmitten blühender Bäume saßen. Er zappelte nervös mit seinen nackten Beinen, und sie gab ihm zur Beruhigung einen kleinen Klaps auf den Oberschenkel. Er musterte sie von unten und aß dabei so viel Süßigkeiten, dass ihm fast schlecht davon wurde. Sie wirkte abwesend, und doch erschien sie ihm wunderschön und begehrenswert. Er schämte sich dieses Gefühls, weil er ahnte, dass es nicht das Gefühl eines Kindes war. Und er war diesem phantomhaften Vater böse, diesem Feigling, weil er sie verlassen hatte, um in ein Furcht einflößendes, dunkles Land namens Tod zu reisen.
    Am folgenden Abend hatte seine Mutter ihn zu seinem Onkel gebracht, dann war sie mit einer Taxikugel in die Nachbarstadt Betsabee gefahren, um eine Freundin zu besuchen. Mitten in der Nacht hatte seine Tante ihn plötzlich aus dem Schlaf gerissen. In jener Nacht erstrahlten die Sechs Sterne in der Sonne besonders hell und rot, im Rot des himmlischen Bluts. Er wurde zu einem Bett geführt, auf dem seine Mutter mit auf der Brust verkreuzten Händen lag. Sie bewegte sich nicht mehr; sie atmete nicht mehr. Benommen betrachtete er ihr weißes friedliches Gesicht, das von ihrem golden schimmernden Haar umgeben war. Hilflos und allein hatte sie ihn zurückgelassen. Man sagte ihm, die Taxikugel sei abgestürzt, und seine Mutter sei zu seinem Vater in das wunderbare Königreich des Todes gegangen. Da fragte er sich, warum dieses Königreich so verlockend sei, dass sie ihn deswegen habe verlassen
können. Dabei hatte sie doch immer behauptet, ihn mehr als alles andere auf der Welt zu lieben und ihn niemals zu verlassen. Also war seine Mutter eine Lügnerin, wie alle anderen auch.
    Er weinte, ohne zu wissen, warum Tränen aus seinen müden Augen strömten, vielleicht nur, weil das eine große Erleichterung war oder einfach ein beruhigendes Gefühl, etwas Wärme auf seinen Wangen zu spüren. Seine Tante drückte ihn an ihre Brust, wie seine Mutter es getan hatte. Doch bei dieser Frau fühlte er nichts als Kälte und Gleichgültigkeit hinter dieser leeren Geste.
     
    »Sie sind aber früh auf den Beinen, Bilo!«, rief Stanislav Nolustrist.
    Völlig nackt stand der Hirte vor der offen stehenden Tür seiner Hütte und streckte sich. Seine tiefe Stimme hatte ein paar seiner im Gras ruhenden Bovinen geweckt. Jetzt standen sie auf, scharrten mit den Hufen und schnaubten, bereit zu fliehen oder anzugreifen.
    Derart abrupt in die Realität zurückgekehrt, merkte Tixu erst jetzt, dass ihm Tränen über die Wangen liefen. Er wischte sie mit dem Handrücken weg und rieb sein Gesicht mit einem Zipfel der Wolldecke, um seine Verlegenheit zu überspielen.
    Der Hirte ging zu ihm und deutete auf die Sterne. »Schauen Sie sich den Himmel an! Sehen Sie diesen Stern da? Rechts neben der Sichel

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