Krieger der Stille
des Sandwindes? Das sind Sie. Dieser Stern wird bald vom Firmament verschwunden sein, so wie Sie aus meinem Leben verschwinden werden. Er wird von der Dunkelheit verfolgt, so wie Sie vom Tod verfolgt werden. Er muss hell strahlen, will er nicht von der Nacht verschluckt werden. Und Sie müssen einen sehr
starken Lebenswillen haben, wollen Sie nicht vom Tod hinweggerafft werden! Sein Schicksal wie das Ihre hängt einzig und allein davon ab, mit wie viel Energie ihr euch zur Wehr setzt. Und Sie, Bilo, haben Sie genug Lebenswillen, um den Fallstricken des Sensenmanns zu entgehen?«, schloss Stanislav und brach in unbändiges Gelächter aus, noch ehe Tixu darauf antworten konnte.
»Verflucht noch mal, ich sehe ja, wie ich Sie mit meinem Geschwätz anöde. Kommen Sie! Begleiten Sie mich lieber zum Gebirgsbach. Sein Wasser wird uns erfrischen und wieder munter machen. Gestern sind Sie auch nicht mitgekommen.«
»Das Wasser ist mir zu kalt«, entschuldigte sich Tixu lahm. Er wunderte sich, dass dem Hirten solche Temperaturen nichts auszumachen schienen.
»Es ist nicht kalt!«, widersprach Stanislav. »Es ist bloß noch etwas abgekühlt von der Nacht, aber klar und von einem unbeschreiblichen Frieden erfüllt … Also, los! Sie werden sich hinterher viel besser fühlen.«
Er ging ins Haus und kam kurz darauf mit einer aus ungebleichter Wolle gewebten Tunika bekleidet wieder. Ohne ein weiteres Wort ging er zum Bach. Tixu trottete schließlich, in seine Decke gehüllt, hinter ihm her. Der Tau unter seinen nackten Fußsohlen war eisig, und sein Atem gefror in der kalten Luft. Die Bergkette in der Ferne war in fahles, diesiges Licht getaucht.
Der Bach bildete sich aus einem hohen Wasserfall, und rauschte schäumend über das Felsgestein. An seinen Ufern wuchsen vom Raureif versilberte Pinien. Der Pfad wurde schmaler und führte zu einer kleinen Bucht unter einem Felsvorsprung, wo sich eine Gumpe gebildet hatte.
Stanislav Nolustrist zögerte keine Sekunde. Er streifte
seine Tunika ab und sprang in das stille Wasser. Tixu ließ seine Decke von den Schultern gleiten und tauchte vorsichtig seinen großen Zeh in den Bach. Es war eiskalt und er bekam eine Gänsehaut.
»Los, rein mit Ihnen! Das Wasser ist herrlich. Genießen Sie es, wie Sie das Zusammensein mit einer Frau genießen würden. Nur keine Schüchternheit vortäuschen!«
Aber Tixu weigerte sich. Er zitterte vor Kälte und rührte sich nicht vom Fleck. Stanislav schwamm näher heran und bespritzte seinen Gast mit Wasser. Tausend Nadeln stachen Tixu und raubten ihm den Atem. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als ins klare Wasser zu springen.
Als die beiden eine Viertelstunde später ans Ufer kletterten, musste Tixu gestehen, dass ihm dieses auferzwungene Bad sehr gutgetan hatte, auch wenn ihm noch immer leicht der moschusartige Geruch der Bovinen anhaftete. Er rubbelte sich mit der Decke trocken.
»Ich muss Sie verlassen, Stani …«
»Das wusste ich von Anfang an«, murmelte der Hirte und lächelte traurig. In seinem Bart hingen noch glitzernde Wassertröpfchen. »Der Himmel belügt mich nie … Sie werden mir fehlen, ich fühlte mich in Ihrer Gesellschaft wohl … Doch Sie haben einen schlechten Tag für Ihre Abreise gewählt, denn die Krönungsfeierlichkeiten anlässlich der Inthronisation des neuen Kaisers beginnen heute.«
»Länger kann ich nicht warten«, sprach Tixu weiter. Er richtete seine Worte ebenso an sich wie an seinen Gesprächspartner. »Die Zeit läuft mir davon … Und jetzt bin ich entschlossen, alles auf eine Karte zu setzen … Irgendwie finde ich schon eine Möglichkeit, von hier wegzukommen. Die Transfergesellschaften öffnen heute Morgen wieder
ihre Büros. Doch was auch immer geschehen mag, ich komme nicht zurück.«
Stanislav Nolustrist stand nachdenklich am Ufer des Bachs. Eine frische Morgenbrise wirbelte Strähnen seines nassen Haars auf.
»Wenn jemand derart entschlossen ist wie Sie«, sagte er schließlich, »wird der Himmel Ihren Wunsch erfüllen. Übrigens … weil die Sterne mir Ihre Abreise verkündeten, habe ich Sie quasi zu diesem Bad gezwungen. Denn dieses Wasser ist wirklich heilig. Noch nie wurde die Quelle des Bachs entdeckt und das aus einfachem Grund: Er entspringt direkt dem Mund Dimutas der Wohltäterin, der Wassergöttin. Seine reinigenden Wasser haben vorübergehend die Kraft, die zerstörerische Macht Brouhaers, des Dämons des Nichts, zu neutralisieren. Und Sie werden in den nächsten Tagen wahrhaft
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