Krieger der Stille
etwas weiter entfernten Strand aus Kieselsteinen lag der umgedrehte Rumpf eines antiken Schiffs, der dem Fischer als Depot für seine Materialien diente. Der alte Schiffsrumpf inmitten dieser wilden, naturbelassenen Landschaft bot ein pittoreskes Bild.
Kwen Daël kniete auf dem schwankenden Steg und warf den Stutzen samt passendem Rohr ins Wasser. Dann griff er hinein und schraubte ihn an die Schleusenkammer des Containers. Sofort wurde sein gesamter Fang – bunt schillernde Fische, große graue Taschenkrebse, bläuliche Hummer und schwarze Rochen – in das Rohr gesogen, und von
dort gelangten sie in das Frischwasserbecken, wie Tixu durch das gewölbte transparente Dach darüber beobachten konnte.
»Von da aus befördere ich sie mit einer Pumpe in das Bassin in meiner Lagerhalle«, erklärte Kwen Daël und fügte hinzu, dass dieses geniale System sein Onkel erfunden habe.
»Er war so faul, dass er nie in die kleine Bucht hinuntergehen wollte … Aber das System ist perfekt, weil die Fischgroßhändler frische Ware schätzen …«
Als der Fischer diese Arbeit erledigt hatte, ging er mit Tixu zu der in den Fels gehauenen Treppe. Trotz Kwens Hilfe hatte der Oranger die größte Mühe, die Stufen zu bewältigen. Seine Beine und die Decke schienen Tonnen zu wiegen. Ihr langsamer Aufstieg störte die in den Nischen der rauen Wand nistenden Gelbmöwen und Silberkammtölpel auf. Sie kreischten empört.
Oben mussten sie noch ein Stück ödes, vom Wind gepeitschtes Heideland überqueren, auf dem struppiger Ginster wuchs, ehe sie das Haus betraten. Dessen einziger Schmuck an den Wänden bestand aus antiken Fischernetzen und präparierten Fischen.
Tixu war so müde, dass er sofort um ein Bett bat.
»Wollen Sie nicht zuerst etwas essen?«, fragte Kwen Daël.
»Später … Ich bin einfach zu erschöpft und brächte keinen Bissen runter.«
»Wie Sie wollen. Morgen früh bin ich in Houhatte, um das Fest vorzubereiten. Wahrscheinlich sind Sie dann beim Aufwachen allein. Aber tun Sie ganz so, als wären Sie bei sich zu Hause.«
Der Selpdiker brachte ihn in ein kleines Zimmer, dessen
Wände mit Muscheln beklebt waren und das nach Schimmel roch. Die Möbel waren staubbedeckt. Aber das war Tixu egal. Wie ein Schlafwandler ging er auf das Bett in der Ecke zu – ein Bett mit einem alten Sprungfederrahmen und einer Matratze – das hätte bei einem Antiquitätenhändler auf Orange ein Vermögen gekostet, dachte er – und ließ sich darauffallen. Er schlief sofort ein und hörte nicht mehr, was sein Gastgeber sagte.
»Schon lange hat niemand mehr hier geschlafen. Aber wenigstens haben Sie in dem Zimmer Ihre Ruhe … Ich mache die Läden auf und lüfte etwas …«
In der Nacht wurde Tixu von Albträumen heimgesucht. Bedrohliche und groteske Meeresungeheuer umgaben ihn. Er wollte ihnen entfliehen und lief über ein glitschiges Meer, das immer mehr unter ihm nachgab, je weiter er lief. Der Kreis der Ungeheuer schloss sich um ihn, ihre spitzen Hörner waren so scharf wie Dolche. Plötzlich tauchte eine Insel unter seinen Füßen auf, wuchs aus dem Meer empor und hielt ihn zwischen hohen Felswänden gefangen. Er warf sich in den heißen Sand. Die Ungeheuer tauchten rund um die Insel auf und bewachten sie, sodass es ihm unmöglich war, auf das Schiff in der Ferne zu gelangen. Plötzlich öffnete sich der Sand und enthüllte den Körper einer jungen Frau, deren Gesicht er nicht erkennen konnte. Sie flehte ihn an, sie aus diesem schrecklichen Gefängnis zu befreien. Ihre Tränen, so salzig wie das Meer, liefen in ihren Mund, und er trank sie mit in höchster Verzückung. Er versprach ihr unter der Bedingung zu helfen, dass sie ihm ihr Gesicht zeige. Also wandte sie sich ihm zu. Ihr Gesicht war das einer alten zahnlosen Frau, ihre Augen waren trübe. Sie befahl ihm, sein Versprechen zu halten. Trotz seines Ekels reichte er ihr die Hand und wollte sie
aus dem Sand ziehen. Doch seine Bemühungen waren umsonst … Der Sand verschlang sie alle beide, drang in ihre Münder, ihre Augen … Er merkte, dass der Kampf vergebens war und schrie die Frau an, sie solle ihn loslassen. Da lächelte sie ihn an, und ihr Gesicht verwandelte sich in das einer strahlend schönen jungen Frau.
Tixu öffnete die Augen. Es war ruhig und hell im Haus des Fischers. Nur leise hörte er vom Meer her die Schreie der Möwen und Tölpel. Er fragte sich, wie lange er geschlafen hatte und streckte sich voller Genuss, um seine malträtierten Muskeln zu
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