Krieger der Stille
einem prüfenden Blick zum Himmel. »Aber der Sturm ist ein gutes Omen für das Fest der Tränen. Denn er bedeutet, dass die Götter selbst daran teilnehmen. Als Zeichen dafür schicken sie uns ihre Tränen.«
Der Steg ächzte und knarrte unter den Windböen und
dem aufschlagenden Wasser. Die Möwen und Tölpel stürzten kopfüber hinab in die von Gischt gekrönten Wellen. Dann tauchten sie mit zappelnden kleinen Fischen in den Schnäbeln wieder auf, die sie auf den Klippen, fern von ihren räuberischen Artgenossen, in aller Ruhe verzehrten.
Kwen Daël dirigierte sein Fahrzeug geschickt durch die schmale Fahrrinne und nahm Kurs entlang der Felsküste. Die jetzt leere Aquakugel gewann schnell an Fahrt. Ihr Kiel schien die Wellen nur flüchtig zu berühren, und das mobile Deck blieb immer in der Horizontalen. So hatte Tixu das angenehme Empfinden, ruhig dahinzugleiten.
Bald kam ein großes, von vier runden Türmen flankiertes Gebäude in Sicht, in dessen Mitte sich ein viereckiger, weißer Bergfried erhob. Es war von einer hohen, aus grob behauenen gelben Steinen bestehenden Festungsmauer umgeben, in die Schießscharten eingelassen waren und an deren Fuße sich die Wellen des Meeres brachen. Sie stellte ein eindrucksvolles Bollwerk gegen alle Feinde dar. Tixu brauchte den Fischer nicht zu fragen. Intuitiv wusste er, dass diese imposante Anlage der Sitz der Ritter der Absolution war – gleichsam als eine Herausforderung gegenüber dem Meer der Feen von Albar errichtet.
Als hätte Kwen Daël Tixus Gedanken gelesen, erklärte er: »Das Kloster des Ordens! Leider haben wir jetzt Flut, deshalb können Sie die Ritter nicht trainieren sehen.«
Unterschwelliger Stolz schwang in der Stimme des Fischers mit, denn er war wie alle Bewohner dieses Planeten von einem naiven, fast kindlichen Stolz auf den Orden erfüllt.
Je näher die beiden der äußeren Festungsmauer kamen, umso höher schien sie in den Himmel zu ragen – in fast schwindelerregende Höhen.
»Man könnte glauben, dass die Feen selbst dieses Kloster errichtet haben«, fügte Kwen Daël hinzu. »Diese Mauern sind mehr als dreihundert Meter hoch und wurden aus tonnenschweren Felsblöcken errichtet. Weder ich noch irgendein anderer Selpdiker hat jemals das Innere dieser Anlage betreten. Aber ich habe gehört, es soll eine richtige Stadt dort geben.« Jetzt senkte der Fischer die Stimme und sprach so leise, dass Tixu ihn kaum noch verstehen konnte. »Wie es scheint, soll es zum Kampf zwischen den Armeen des neuen Kaiserreichs und den Rittern des Ordens kommen. Jedenfalls erzählen das die Handelsreisenden, die Houhatte besuchen. Mögen uns die Feen und die Zauberer vor einem solchen Krieg bewahren! Denn wir haben noch nie unter einer fremden Besatzungsmacht gelitten …«
Tixu hütete sich, dem armen Mann das Geheimnis der schrecklichen mentalen Terminatoren zu enthüllen. Er starrte die Festungsmauer an, an der sie nun schon seit geraumer Zeit vorbeifuhren. Irgendwo hinter dieser Mauer war Aphykit. Nur diese mächtigen Steine trennten ihn noch von ihr, von ihrer Schönheit, ihrem Licht. Er hätte sich am liebsten gewünscht, der Fischer würde hier für einen Moment ankern, damit er seine momentane Euphorie voll auskosten könnte.
Doch schon wurde er wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, denn ihm wurde klar, dass es in dem Labyrinth hinter diesen Mauern sehr schwer werden würde, die junge Frau ausfindig zu machen. Intuitiv schloss er die Augen. Nachdem das Antra wieder Leere in seinem Kopf geschaffen hatte, zog er sich in die Stille der Festung zurück.
Wie schon Babsées Reisebüro auf dem Planeten Marquisat,
sah er nun die Klosteranlage vor sich – oder vielmehr, er spazierte im Geist darin umher, während er physisch auf der Aquakugel blieb.
Als Erstes entdeckte er eine große Esplanade, auf der in bronzefarbene Gewänder gekleidete junge Männer geschäftig umhergingen, und Lebensmittel oder verschiedene Gerätschaften transportieren. Dann sah er ein Gewirr steiler, ineinander verflochtener Treppen mit ausgetretenen Stufen, die alle in den Rundweg um den Platz mündeten. Er drang ins Zentrum dieses Ameisenhaufens vor, in die Gebäude, mit ihren unzähligen spartanisch eingerichteten Zellen; den Refektorien, mit ihren langen Tischen und Bänken aus massivem Holz; den dunklen und feuchten Sälen, in denen junge Männer im Schneidersitz auf dem Boden saßen und mit fast religiöser Hingabe den Worten alter weiß gekleideter Männer
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