Krieger der Stille
Er war Respekt einflößend. Er hatte einen klaren, stolzen Blick. Das Haar trug er wie alle sadumbischen Imas: nach hinten gekämmt und auf dem Kopf zu einem Kegel aufgetürmt, dem mittels eines Knochens Halt verliehen wurde.
Er wechselte mit Malinoë ein paar Worte auf Sadumbisch, während durch den Türspalt ein Kind spähte. Seine
runden Augen musterten Tixu mit unverhohlener Neugier.
Kacho Marum begrüßte den Oranger mit der traditionellen Geste der nach außen gewandten Handflächen. Das taten die Sadumbas, die am Rand der Stadt lebten, ebenfalls. Doch bei ihnen war diese Art der Begrüßung zu einer bloßen Formalität verkommen, während sie für Kacho Marum noch die traditionelle Lebensweise des Waldvolks verkörperte.
»Wie fühlst du dich, junger Gast?«, fragte er in ernstem und gleichzeitig liebenswürdigem Ton.
»Hm … es geht …«, sagte Tixu.
Seine eigene Stimme kam ihm fremd vor, so als würde er sich über ein Holofon hören. Noch konnte er die Wirklichkeit nicht ganz begreifen, weder die Dinge, die ihn umgaben, noch dieses beeindruckende Paar in seiner paradiesischen Nacktheit.
»Wo … wo bin ich?«
Der Sadumba schlug sich mit der Hand klatschend auf die Brust.
»Bei Kacho Marum, dem Ima des Tiefen Waldes.«
»Und … Sie haben mich aus … aus dem Fluss gezogen?«
Kacho Marum lachte wie ein Kind, so als ob ihn Tixus Frage außerordentlich erheitern würde.
»Ja. Ja, das habe ich. Aber nicht allein.«
»Das ist unmöglich«, wandte Tixu ein. »Unmöglich … Niemand kann den Echsen entkommen.«
»Die Echsen sind Kacho Marums Freunde«, antwortete der Sadumba einfach.
Malinoë stellte den kostbaren Flakon ins Regal zurück und ging aus dem Raum. Zur großen Enttäuschung des Kindes schloss sie sorgfältig die Tür hinter sich.
Kacho Marum setzte sich mit gekreuzten Beinen auf den Boden. Ehe er eine bequeme Position eingenommen hatte, nahm er sein Glied zwischen Daumen und Zeigefinger und legte es vorsichtig zwischen beide Hoden. Diese Geste, die bei jedem anderen Mann schamlos ausgesehen hätte, wirkte bei ihm völlig natürlich. Noch rannen Regentropfen über seine weiße und glatte Haut, die an manchen Stellen mit kleinen geometrischen Tätowierungen verziert war. Seine volle und tiefe Stimme wirkte gütig und gelassen.
»Danken wir Aum Tinam für die Segnungen des Lebens«, sagte er, nun in eindringlichem Tonfall. »Wie jeden Tag wollte ich meine Freundschaft mit den Flussechsen – den Inkarnationen der Götter bei uns – pflegen. Als ich zum Agripam kam, sah ich, dass sich zwei Männer aus anderen Welten auf einer Hängebrücke prügelten. Die beiden Männer fielen in den Fluss, in die Wasser des Gottes Mehom. Da kam mir ein Gedanke: Diese Leute verdienen das Geschenk Aum Tinams nicht; und meine Freunde, die Echsen, werden die ihnen anvertraute Aufgabe erfüllen. Sie werden den Männern das unschätzbare Gut des Lebens nehmen.«
Er schwieg und beugte sich vor, wie um Tixu ein kostbares Geheimnis anzuvertrauen. Auch er roch wie die Riesenechsen.
»Dieses kostbare Geschenk wurde dem einen Mann sofort genommen. Aber dann geschah etwas ganz Außergewöhnliches! Die Große Echse, deren Kräfte für uns Wesen auf zwei Beinen unvorstellbar ist, warf sich auf ihre Brüder und Schwestern und untersagte ihnen, den zweiten Mann anzurühren. Mit ihrem Körper formte sie einen unüberwindbaren Wall, damit der Mann aus den anderen
Welten gerettet wurde. Gegen ihre Brüder und Schwestern der Wasser! Es ist das erste Mal, dass so etwas je geschah!«, sagte Kacho Marum voller Erstaunen und Bewunderung.
»Aus Legenden wissen wir«, fuhr er mit sonorer Stimme fort, »dass derjenige, der dem Zorn der Echsen entkommt, einem außergewöhnlichen Schicksal entgegengeht. Dass die Götter ihm Unsterblichkeit verleihen. Ja, Unsterblichkeit! Und deshalb habe ich nicht gezögert. Ich bin in Mehoms Reich gesprungen und habe der Großen Echse geholfen, den zweiten Mann zu retten. Der war schon halb ertrunken, halb bewusstlos und beinahe tot …«
Kacho Marum schwieg und wartete auf Tixus Reaktion.
Die Worte des Imas erschienen ihm wie ein Traum, und er zweifelte plötzlich an seinem Verstand, an der Wirklichkeit und an seiner und an seines Gastgebers geistigen Gesundheit.
»Das ist unmöglich! Das sind doch prähistorische Monster! Sie greifen alles an, was sich bewegt. Sie haben mich nicht aus dem Wasser retten können, sonst wären Sie zerfleischt worden …«
»Wie hätten sie es
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