Krieger der Stille
Wolken am Himmel seines Heimatplaneten Orange, der Sägebaum im Garten seines Onkels, seine Mutter … Noch nie hatte er so deutlich das schmerzverzerrte Gesicht seiner Mutter wieder gesehen … Sie ist gegangen, er bleibt, ein trauriges Kind. Sie hatten keine Zeit, sich kennenzulernen.
Der Söldner packte Tixu an der Taille und zerrte ihn hoch. Geistesgegenwärtig hielt sich der Oranger mit beiden Händen an dem Seil fest und hing zwischen Himmel und Wasser, wobei er sich mit einem Knacken die Schulter verrenkte. Der Maskierte verlor das Gleichgewicht auf dem schwankenden Steg, der unter der plötzlichen heftigen Bewegung Schlagseite bekam. Er fiel mit voller Wucht auf Tixu, und beide stürzten hinab. Der Söldner stieß einen verzweifelten Schrei aus.
Ehe Tixu ins eiskalte Wasser fiel, hatte er ein letztes Bild vor Augen: gelbe Schuppen, rote Augen und aufgerissene Rachen, bewehrt mit Dreierreihen spitzer Zähne.
Er tauchte in die dunklen Tiefen des Flusses ein und schoss dann wie eine Holzkugel an die Oberfläche. Er war kurz vor dem Ersticken und versuchte verzweifelt, wieder zu Atem zu kommen und über Wasser zu bleiben. Aber Arme und Beine verweigerten ihm den Dienst. Ein paar Meter von ihm entfernt schwamm die weiße Maske. Und er sah die gekrümmten zackigen Schwänze und die riesigen Rachen der Echsen, die sich aus allen Richtungen auf ihre Beute, den Söldner, stürzten. Mit dem ersten Biss wurde ihm ein Bein ausgerissen, mit dem zweiten ein Arm. Der dritte zermalmte seinen Kopf. Die anderen Amphibien stritten sich um seinen Torso. Eine purpurrote Blütenkrone breitete sich auf dem schlammig-trüben Wasser aus.
Erschöpft, besiegt gab Tixu auf und ließ sich auf den Grund des Flusses sinken.
Mutter, warum bist du gestorben? Auch ich werde sterben … Aber ich möchte leben … Leben … Nicht sterben. Dich habe ich nicht gekannt, aber sie, sie hätte ich so gerne kennengelernt …
Jetzt lehnte er sich nicht mehr auf, er war bloß traurig und resigniert und von Bedauern erfüllt. Er hatte das Gefühl, alles im Leben vergeudet zu haben. Sein Dasein kam ihm absurd vor.
Über ihm führten die fahlweißen Bäuche der Echsen ein seltsames Wasserballett auf. Dann wurde er von einem mächtigen Strudel erfasst, und zwei scharlachrote Flecken breiteten sich im trüben Fluss aus.
Er glaubte, eine riesige Echse würde ihm zu Hilfe kommen. Das war ein idiotischer Gedanke. Ein unerfüllbarer Wunsch, ein letzter Traum vom Leben …
Er verlor das Bewusstsein und glitt in einen Abgrund,
dessen Wände aus Wasser bestanden. Seine Mutter erschien ihm. Er flehte sie um Hilfe an, aber sie musterte ihren Sohn nur betrübt und bot ihm etwas zu trinken an. Er wollte nichts trinken, denn seine Lunge und sein aufgeblähter Bauch waren bereits voll Wasser. Eine nackte Frau erwartete ihn am Boden des Abgrunds. Er erkannte die Syracuserin, und sein Herz machte einen Freudensprung. Doch jedes Mal, wenn er sich ihr näherte, wenn er sie berühren wollte, wich sie mit entsetzlichem Hohngelächter zurück. Nie würde er zu ihr gelangen können. Dieser Gedanke machte ihn traurig. Am liebsten hätte er wie ein Kind geweint. Dann erbarmte sich die Syracuserin seiner und verwandelte sich in eine Sadumba-Frau, deren üppige Brüste über die Speckfalten ihres mächtigen Bauchs hingen. Ihre kleinen schwarzen und schlitzförmigen Augen waren voller Liebe. Ihre starken molligen Arme hoben ihn hoch als wäre er ein dürrer Ast. Sie drückte ihn an ihren Busen, streichelte ihn und summte ein Kinderlied. Aber der Geruch ihrer Haut war widerlich, unerträglich. Er strampelte wild, um sich aus ihrem schraubstockartigen Griff zu befreien. Da ihm das nicht gelang, trommelte er mit Füßen und Fäusten auf sie ein und stieß empörte Schreie aus.
Er öffnete die Augen. Sein ganzer Körper war mit eiskaltem Schweiß bedeckt. Seine Umgebung wirkte friedlich und war in ein angenehmes Halbdunkel getaucht. Er merkte, dass er lag und versuchte aufzustehen. Doch ein brennender Schmerz durchfuhr seine Schulter, und er gab auf. Wirre Bilder schwirrten durch seinen schmerzenden Kopf: der schwankende Steg, seine um das Seil gekrallten Hände, die Echsen, der blutige Torso des Maskierten, der Abgrund, das Wasser … das Wasser. Wasser! Atmen! Er
musste atmen! Von Panik ergriffen, fing er an zu keuchen und bekam keine Luft mehr. Als er aber begriffen hatte, dass es wieder Luft zum Atmen gab, beruhigte er sich, und wurde von einer großen Müdigkeit
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