Krieger der Stille
wagen können, Kacho Marum anzugreifen, während er einen Mann aus dem Fluss fischte, der unter dem Schutz der Großen Echse stand?«, antwortete der sadumbische Schamane ruhig. »Glaube mir, junger Gast, es ist ein außergewöhnliches Zeichen, eine Begegnung mit den Echsen zu überleben. Du musst ein großer Mann sein oder ein großer Mann werden … Während meines Lebens als Diener der Götter habe ich nie jemanden aus den anderen Welten gesehen, der diese Prüfung bestanden hätte. Die Echsen sind die gerechten Wächter
des Gottes Mehom: Jene, die von ihren Zähnen zermalmt wurden, verdienten das kostbare Gut des Lebens nicht. Aber du, du musst leben und deine Gaben kultivieren. Leben und deine Bestimmung vollenden …«
»Was soll ich vollenden, gütiger Himmel?«
Die Bedeutung dieses Sermons entging Tixu. Bislang war er der Meinung gewesen, ein Nichts zu sein, ein von seinen sinnlichen Wahrnehmungen getäuschtes Subjekt mit beschränktem Intellekt, das Ziele verfolgte, die nirgendwohin führten. Allein die Tatsache, noch am Leben zu sein und mit einem nackten Mann über die Göttlichkeit widerlicher Bestien zu reden, kam ihm völlig absurd vor.
»Du sollst dein Schicksal vollenden«, sprach Kacho Marum ungerührt weiter. »Denn dein Schicksal ist größer als dein Begriffsvermögen. Du hast das innere Wasser der Echsen getrunken, du bist mit ihrem Fett gesalbt: Sie haben die Zauberkraft unseres Freundes, des Todes, gebrochen. Trotz der Wasser Mehoms in deiner Lunge, trotz deiner schweren Verletzung an Kopf und Schulter. Danke den Echsen! Denn allein sie haben dir geholfen, das kostbare Geschenk des Lebens zu bewahren! Nur wenige Wesen auf zwei Beinen wurde diese Gunst zuteil.«
»Warum haben sie mich erwählt? Wer entscheidet so etwas?«, fragte Tixu. Langsam begriff er, warum hier alles nach den riesigen Reptilien stank.
»Allein ein Ima des Tiefen Waldes vom Volk der Sadumbas wie Kacho Marum, der heilige Hüter und Freund der Echsen, das letzte Glied einer langen Kette Imas, auch sie Freunde der Echsen, kann entscheiden, ob er die Medizin der Echsen verabreichen darf. Du, junger Gast, bist der einzige Mensch der anderen Welten, den ich mit Erlaubnis
der Götter heilen durfte. Das geschah nach dem Willen der Großen Echse!«
Traurigkeit verdunkelte die Gesichtszüge des Sadumbas.
»Nur wenige verdienen das. Die allermeisten Männer aus den anderen Welten, die Schatzgräber, leiden unter einer unheilbaren Krankheit: dem Optalium-Fieber. Viele meines Volkes trinken Alkohol; er macht aus der Seele eine leere Wüste. Sie ehren die Götter nicht mehr und werden bestraft, wenn sie in den Fluss Agripam fallen. Obwohl, junger Gast, das Fett und das Wasser der Echsen allmächtig gegen Krankheiten sind! Sie heilen sogar die Zenoïba, das tückische Fieber, gegen die alle Mittel der Mediziner-Menschen machtlos sind.«
»Wie … wie stellen Sie es an, das Fett der Echsen und ihr … inneres Wasser zu gewinnen? Fangen Sie die Tiere?«
Kacho Marum bekam einen Lachanfall und schlug sich zwischen zwei Heiterkeitsausbrüchen kräftig auf die Schenkel.
»Die Echsen fangen? Niemand hat jemals einen Gott gefangen. Es würde auch niemandem gelingen. Sie sind viel zu stark und viel zu klug … Vor langer Zeit, Kacho Marum war damals noch ein Kind, sind Jäger aus den anderen Welten gekommen, weil sie stehlen und die Häute der Echsen verkaufen wollten. Doch alle haben das kostbare Gut des Lebens verloren. Die Echsen vertrauen ihre Geheimnisse nur ihren treu ergebenen Dienern an, den Imas des Tiefen Waldes. Wenn sie ihre Aufgaben erfüllt haben und kurz davor sind, die Welt Mehoms zu verlassen, begeben sie sich an einen Ort, der nur den Imas bekannt ist. Dann verschenken sie ihre Körper, noch ehe das Leben sie verlassen
hat. Sie gehen ans Ufer, legen sich auf den Rücken und lassen sich öffnen, damit wir ihnen ihr inneres Wasser und ihr Körperfett entnehmen können. Schmuggler haben versucht, den geheimen Echsenfriedhof aufzuspüren. Sie alle haben ihr Leben verloren. Kacho Marum wird dieses Geheimnis nur seinem ältesten Sohn mitteilen, der wiederum sadumbischer Ima und Heiler wird. Deine Lebenskräfte sind zurückgekehrt. Du hast keine Schmerzen mehr, nicht wahr?«
Tixu hob seinen Arm und bewegte ihn kreisend.
»Ich spüre nichts mehr … Das ist seltsam … Es kommt mir vor, als wäre ich nie verletzt worden …«
»Sehr gut. Jetzt weißt du, wie stark die Medizin der Götter ist. Das darfst du nie
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