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Kriegsgebiete

Kriegsgebiete

Titel: Kriegsgebiete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Spranger
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die Wasserqualität doch nicht so
schlecht, weil vom Schilf gereinigt, aber am eigenen Leib austesten
wollte Daniel das auf keinen Fall. Er blieb auf der Holzbrücke
stehen und suchte mit den Augen den Teich ab. An manchen Tagen war
man schon glücklich, wenn keine Leiche im Wasser trieb.
    Der
Weg durch die Wiesen stieg eineinhalb Kilometer sanft aber beständig
an. Schneller als sonst erreichte Daniel seinen toten Punkt. Er
ertappte sich dabei, wie seine Schritte langsamer wurden. Fast wäre
er stehen geblieben. Irgendwas passt mit meiner Einstellung nicht,
dachte Daniel. Sonst war es leichter, nicht stehen zu bleiben. Er
machte einen kräftigen Schritt – einen Basta-Schritt –
und verschärfte sein Tempo. Der Boden gab nach und stemmte sich
nicht mehr seinen Schritten entgegen. Der Waldrand kam immer näher.
Fast so, als würde er ihm fröhlich entgegenhoppeln.
    In
den Wald zu laufen war ein bisschen wie Stargate : als würde
Daniel plötzlich eine andere Welt betreten. Er hatte einen
Einsatz zu viel in einer waldlosen Weltregion hinter sich. Zuerst
strömte das Glücksgefühl bis in die Nervenenden. Dann
gesellte sich etwas anderes dazu, etwas Dunkles, Haariges, das von
den Nervenenden zurückkam. Die Jahrtausende der Menschheit
hatten im Instinkt ihre Spuren hinterlassen. Den Wald bedrohlich
finden, obwohl der letzte Bär im Fichtelgebirge im Jahr 1769
erlegt wurde. Während man bedenkenlos über eine Kreuzung
geht, obwohl ein Formel-1-Fan den Motor seines tiefergelegten Autos
aufheulen lässt. Dem Bauchgefühl konnte man nicht trauen.
Daniels Ausbildung bahnte sich in seinen Gedanken einen Weg und
sorgte für eine geordnete Bestandsaufnahme: Die Geräusche
machen dich nervös. Knacken. Rascheln. Knirschen. Du erwartest,
dass hinter dem nächsten Baum ein Mensch stöhnt, aber es
stöhnt keiner. Stattdessen schreit irgendwo ein Tier. Du weißt
nicht, was für ein Tier. Vielleicht irgendeine unentdeckte Art.
Wenn du alleine bist, spricht der Wald mit seiner wahren Stimme, die
er bei einer Wandergruppe der Naturfreunde verstellt. Man bemerkt das
Fehlen der Stadt. Das Fehlen von zu vielen Leuten. Nur der Wind in
den Baumwipfeln. Ohne das gleichmäßige Geräusch einer
Durchgangsstraße. Keine lauter werdende Musik aus näher
kommenden Autos. Keine Erdbeben-Bässe und übertriebenes
Lachen neben dir an der Ampel. Im Wald spürst du den Bass in
dir. Bumm-Bumm-Bumm-Bumm-Bumm. Und das elektrische Surren auf deiner
Haut. Der Wald riecht auch anders. Nicht nach Döner und Abgasen.
Gleichzeitig nach Leben und Moder. Das Licht, das durch die Bäume
fällt, trägt bereits Schatten in sich. Die Dunkelheit
versammelt sich um dich. Jeden Moment erwartest du, dass die Bäume
das Sprechen anfangen. Wie in Der Herr der Ringe . Schon am Tag
sind die Schatten zu lang. In der Dämmerung sind sie noch
länger. Sie greifen nach dir. Warum hast du jetzt die Dämmerung
im Kopf, obwohl es Morgen ist?, fragte sich Daniel, während er
mit einem Satz auf einen großen Holzstapel sprang und
darüberrannte. Vor solchen Wäldern hatten die römischen
Legionäre Angst. Damals waren die Gehölze noch viel
dichter. Urwald. Ihre ganzen erprobten Schlachtaufstellungen und die
Reiterei waren nutzlos wie Leopard-2-Panzer in den Bergen
Afghanistans. So waren die Legionen des Varus im Teutoburger Wald von
der Landschaft besiegt worden. Niedergemacht in einem tagelangen
Hinterhalt. Ein Soldat nach dem anderen. Guerillataktik. Die
Legionäre wünschten sich nichts mehr als eine schnurgerade,
steingepflasterte römische Straße.
    Daniel
wusste: Auf einem Waldweg bist du unterwegs, aber nicht in
Sicherheit. Du erwartest, dass nach dem Wald nichts mehr kommt. Wölfe
sind ausgerottet. Du hast es in der Schule gelernt, aber die Bäume
sprechen ihre eigene Sprache. Dir fallen alle Märchen ein, in
denen Wölfe erscheinen. Der Wald macht dir so schön Angst,
dass du es in dein Tagebuch schreiben möchtest. Wenn du keins
führst, fängst du jetzt damit an. Vielleicht hätte ich
in Afghanistan Tagebuch führen sollen. Und dann exklusiv
verkaufen. An den Stern . Vielleicht wäre es verfilmt
worden. Von den Filmrechten hätte ich mir eine Yacht gekauft.
Eine Yacht wäre nicht schlecht. Wegsegeln und irgendwo ankommen.
Aber es gibt kein Tagebuch. Es gibt nur die Gegenwart.
    War
da nicht was? In der Gegenwart. Etwas, das da nicht hingehörte?
Schritte hinter ihm. Natürlich konnte jeder hier joggen. War ja
ein freies Land. Daniel sprang vom Weg in den Schatten eines

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