Kriegsgebiete
kaltschnäuzig
er war.
Dann
kam das Unvermeidliche. Daniel drehte sich um. Zu dem toten Körper,
der von der Deckenleuchte baumelte. Mit einem Stück Draht
erhängt. Die Luft abgewürgt, oder einfach das Genick
gebrochen. Kaninchen ohne Fell sehen aus wie hilflose kleine Aliens.
Er hatte seinem Großvater immer fasziniert zugesehen, wie er
die Stallhasen schlachtete. Mit den Hinterläufen wurden sie an
der Decke aufgehängt. Erst ein Schlag mit der Handkante ins
Genick. Dann das Messer richtig angesetzt, die Finger in die Wunde
und mit einem Ruck das Fell abgezogen. Das Ding, das von der Lampe
hing, war nur Fleisch. Das gefleckte Fell am Boden sah nicht mehr aus
wie ein Kaninchen. Wie Bonaparte. Man konnte sich keine Bewegungen
mehr dazu denken. Eine Bewegungssimulation angesichts eines von der
Deckenlampe hängenden gehäuteten Kadavers bekam
möglicherweise ein Computer hin, aber kein Mensch. Vielleicht,
weil Menschen scheitern, wenn Augen und Fell getrennt waren. In
ausgestopfte Tiere setzte man Glasaugen ein, weil man sich das Fell
sonst nicht lebendig denken konnte. Bonapartes Augen glotzten noch
aus der Ansammlung von Knochen, Muskeln und Sehnen. Anatomisch
steckten sie an der richtigen Stelle – trotzdem wirkten sie
deplatziert.
Daniel
merkte, dass er atmen musste. Zuerst konnte er nur flach hecheln. Die
Lungen wollten sich nicht füllen, aber langsam fing das Hirn an,
Widerstand gegen die Ungeheuerlichkeiten zu leisten, denen es
ausgesetzt war. Daniel holte tief Luft. Es wurde ihm nicht schlecht.
Viele Soldaten kotzten los, wenn sie zu atmen versuchten, nachdem sie
mit dem Tod konfrontiert worden waren.
Erleichtert
stellte Daniel fest, dass sein Hirn nicht rumzickte. Nach der ersten
Panik war es komplett ruhig. Alles in allem war es erfreulicher, ein
totes Tier als einen toten Menschen zu finden. Tierschützern
brauchte er mit so einer Argumentation nicht zu kommen, aber für
ihn war es voll okay. Das Hirn hielt stand.
Wie
jeden Abend würde er Timo anrufen, eigentlich war er eh schon zu
spät dran, um die Routine noch einzuhalten. Timo würde
wissen, was zu tun war. Daniel wählte die Nummer. Das
Freizeichen kam ihm langsamer vor als sonst – mit dem toten
Bonaparte im Rücken.
»Hi,
ich hab schon auf dich gewartet«, sagte Timo am anderen Ende
der Leitung.
»Woher
weißt du, dass ich es bin?«
»Deine
Nummer wird angezeigt. Wie geht’s dir?«
»Scheiße.«
»Kein
Wunder. Man findet nicht jeden Tag Leichen.«
»Doch.
Leider ist es bei mir der Normalfall.«
»Was
meinst du damit?«
»In
meinem Wohnzimmer hängt ein totes Kaninchen von der
Deckenleuchte. Das Ex-Haustier meiner Tochter. Wahrscheinlich mit
einem Draht erwürgt. Oder das Genick gebrochen. Danach das Fell
abgezogen.«
»Wer
macht so was?«
»Keine
Ahnung. Jemand, der mich nicht leiden kann.«
»Meinst
du, es war der Mörder?«
Daniel
brauchte einen Moment, bis sich die Frage gesetzt hatte.
»Wer
sonst?«
»Hast
du nachgesehen, ob er noch da ist?«
»Ja.«
»Im
ganzen Haus?«
»Bleib
dran.«
Daniel
legte den Telefonhörer auf die Kommode und rannte los. Überall
ein schneller Schlag auf den Lichtschalter und ein Sprung ins Zimmer.
Bereit, sofort einen Gegenangriff zu starten. Wie auch immer der
Aggressor vorgehen mochte. In die Küche. Ein aufgeklappter
Pappkarton mit einem verschimmelten Stück Pizza. Die Treppe
hoch. Vorbei an selbst gemalten Bildern seiner Tochter. Ins
Kinderzimmer. Komplett leer. Bis auf den Kaninchenkäfig.
Ebenfalls leer. Ins Schlafzimmer. Daniel riss die Türen des
Schlafzimmerschranks auf. Nichts. Wahrscheinlich ein Umstand, über
den man sich freuen sollte. Das Bett lag noch immer zertrümmert
auf dem Boden verstreut. Er freute sich nicht und rannte zurück.
Eine
Etage tiefer griff sich Daniel das Telefon.
»Nichts.
Der Typ ist über alle Berge.«
»Woher
willst du wissen, dass es ein Mann war?«
»Frauen
hängen keine gehäuteten Felltiere ins Wohnzimmer.«
»Außer
vielleicht eine, die dich sehr hasst.«
»Ich
werde die Polizei rufen.«
»Sicher?«
»Die
müssen das untersuchen.«
»Sie
werden dich nach dem Messer fragen.«
Hatte
er Timo schon davon erzählt, dass die Polizisten ihn nach seinem
Messer gefragt hatten? Oder dass es verschwunden war? Er konnte sich
nicht erinnern, aber sein Hirn war auch einigermaßen
weichgekocht vom hochtourigen Betrieb.
»Wahrscheinlich
hast du recht«, sagte Daniel.
»Die
fragen dich hundertprozentig nach dem Messer.«
»Hab
ich dir schon erzählt,
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