Kriegsklingen (First Law - Band 1)
vorm Dienstzimmer des Erzlektors warte.
Bayaz wandte sich um und lächelte.
»Lange Jahre sind vergangen, seit ich diesen Ort versiegelt habe, und in all dieser langsam vergangenen Zeit hat kein Mensch die Schwelle überschritten. Ihnen dreien wird wahrlich eine große Ehre zuteil.« Glokta fühlte sich nicht geehrt. Ihm war übel. »Es lauern drinnen Gefahren. Berühren Sie nichts, und gehen Sie nur dorthin, wohin ich Sie führe. Folgen Sie mir ohne großen Abstand, denn die Wege sind nicht immer dieselben.«
»Nicht dieselben?«, fragte Glokta. »Wie kann das sein?« Der alte Mann zuckte die Achseln. »Ich bin nur der Torwächter«, sagte er, während er den Schlüssel und die Kette wieder unter sein Hemd steckte, »nicht der Architekt.« Und damit trat er in die Schatten.
Jezal fühlte sich nicht gut, wirklich gar nicht gut. Es war nicht einfach die bösartige Übelkeit, die irgendwie von den Buchstaben an der Tür ausgegangen war, es war mehr. Ein plötzlicher Anfall von Ekel und Entsetzen, als habe man einen Becher genommen und getrunken, und statt des erwarteten Wassers etwas anderes darin vorgefunden. Pisse vielleicht, in diesem Fall. Dieselbe plötzliche, hässliche Überraschung, die jedoch minuten-, ja sogar stundenlang anhielt. Dinge, die er als Narretei oder als Ammenmärchen abgetan hatte, standen plötzlich als Tatsachen vor seinen Augen. Die Welt war ein anderer Ort geworden als der, den er noch einen Tag zuvor erlebt hatte, ein seltsamer und beunruhigender Ort, und ihm war der alte unglaublich viel lieber gewesen. Er konnte nicht begreifen, wieso er hier sein musste. Jezal wusste bitter wenig über Geschichte. Kanedias, Juvens, sogar Bayaz waren für ihn Namen aus verstaubten Büchern, Namen, die er als Kind einmal gehört, damals aber schon nicht spannend gefunden hatte. Es war einfach nur Pech, alles nur Pech. Er hatte das Turnier gewonnen, und nun war er hier und lief in irgend so einem komischen alten Turm herum. Mehr war es ja nicht. Ein komischer alter Turm.
»Willkommen«, sagte Bayaz, »im Hause des Schöpfers.«
Jezal sah vom Boden auf, und ihm blieb der Mund offen stehen. Das Wort ›Haus‹ konnte kaum beschreiben, wie unglaublich riesenhaft der dämmrige Raum war, in dem er sich nun befand. Das Fürstenrund hätte ohne Schwierigkeiten in seiner Gänze hineingepasst, das gesamte Gebäude, und dann wäre immer noch Platz gewesen. Die Wände bestanden aus rohem Stein, unbehauen, ohne Mörtel zusammengefügt und scheinbar wahllos aufeinander gestapelt, aber sie reichten endlos, endlos weit hinauf. Über der Mitte des Raumes, ganz weit oben, hing etwas. Ein großes, faszinierendes Etwas.
Es erinnerte Jezal an ein Navigationsinstrument, das man in riesenhafter Vergrößerung nachgebaut hatte. Ein System aus gigantischen Metallringen, die im Dämmerlicht glänzten, einer um den anderen, mit weiteren kleineren Ringen dazwischen, in ihnen und um sie herum. Hunderte vielleicht, insgesamt gesehen, und voller Markierungen: Schriftzeichen, oder möglicherweise auch nur bedeutungslose Kritzeleien. In der Mitte hing eine riesige schwarze Kugel.
Bayaz ging bereits voran und trat in einen großen Kreis auf dem Boden, der von komplizierten Linien ausgefüllt wurde, die aus Metall in den dunklen Stein eingelassen worden waren; seine Schritte hallten von hoch oben wider. Jezal kroch hinter ihm her. Es war etwas Furcht einflößendes, Verwirrendes daran, einen so großen Raum zu durchschreiten.
»Dies ist Midderland«, sagte Bayaz.
»Was?«
Der alte Mann deutete auf den Boden. Die kritzeligen Metalllinien bekamen plötzlich eine Bedeutung. Küsten, Berge, Flüsse, das Land und das Meer. Die Umrisse von Midderland, die Hunderte von Landkarten in Jezals Kopf eingegraben hatten, lagen unter seinen Füßen.
»Das ganze Weltenrund.« Bayaz machte eine Handbewegung über die endlose Weite des Fußbodens. »In dieser Richtung liegt Angland, und dahinter der Norden. Gurkhul ist hier drüben. Dort liegen Starikland und das Alte Kaiserreich, und hier die Stadtstaaten von Styrien, wie beispielsweise Suljuk und das weit entfernte Thond. Kanedias stellte fest, dass die Länder der bekannten Welt einen Kreis bilden, dessen Mitte genau hier liegt, bei seinem Haus, und seine weiteste Grenze verläuft durch die Insel Schabulyan weit im Westen, hinter dem Alten Kaiserreich.«
»Das Ende der Welt«, murmelte der Nordmann und nickte langsam vor sich hin.
»Welch eine Arroganz«, schnaubte Glokta, »das eigene
Weitere Kostenlose Bücher