Kriegsklingen (First Law - Band 1)
herunterklettern. Über Dachfirste laufen, einen unsicheren Fuß auf jeder Seite, sich an schmalen Vorsprüngen vorbeischieben, bröckelnde Mauern überwinden. Hin und wieder sah Logen kurz auf, warf einen Schwindel erregenden Blick über das Meer nasser Schieferplatten, gesprungener Ziegel, uralter Bleischindeln, bis hin zur weit entfernten Mauer des Agrionts, manchmal sogar bis zu der dahinterliegenden Stadt. Es wäre beinahe friedlich hier gewesen, hätte er Ferro nicht dabei gehabt, die sicheren Fußes schnell voran eilte, ihn beschimpfte und ihn weiterdrängte, sodass er keine Zeit hatte, über die Aussicht nachzudenken, ebenso wenig wie über die entsetzlichen Abgründe, an denen sie sich vorbeischlängelten, und die schwarzen Gestalten, die sicherlich unten immer noch nach ihnen suchten.
Einer ihrer Ärmel war bei der Schlägerei zuvor halb abgerissen worden, flatterte nun um ihr Handgelenk und behinderte sie beim Klettern. Verärgert riss sie ihn an der Schulternaht ab. Logen lächelte in sich hinein, als er daran denken musste, wie viel Mühe es Bayaz gekostet hatte, sie dazu zu überreden, ihre alten stinkenden Lumpen gegen neue Kleidung einzutauschen. Jetzt sah sie dreckiger aus denn je, ihr Hemd war durchgeschwitzt, blutverschmiert und voller Schmutz von den Dächern. Sie sah über ihre Schulter und bemerkte, dass er sie beobachtete. »Vorwärts, Rosig«, zischte sie.
»Du kannst doch gar keine Farben sehen, oder?« Sie kletterte weiter und überhörte das, schwang sich um einen rauchenden Schornstein und rutschte dann auf einen schmalen Vorsprung zwischen zwei Dächern. Logen kam ihr mühsam nach. »Überhaupt keine Farben.«
»Na und?«, gab sie unwillig zurück.
»Wieso nennst du mich dann Rosig?«
Sie sah sich zu ihm um. »Bist du rosig?«
Logen sah seine Unterarme an. Abgesehen von den marmorierten blaugrünen Flecken, den roten Kratzern und den blauen Adern waren sie ein wenig rosig, das musste er zugeben. Er zog eine Grimasse.
»Hab ich mir gedacht.« Sie verschwand zwischen den Dächern, tänzelte bis ans Ende des Gebäudes und warf einen Blick hinunter. Logen folgte ihr und beugte sich vorsichtig über die Mauer. In dem Gässchen unter ihnen gingen einige Leute. Ziemlich weit unter ihnen, und es war keine Möglichkeit zum Hinunterklettern zu sehen. Sie würden denselben Weg zurückgehen müssen, den sie gekommen waren. Ferro hatte sich schon wieder an ihm vorbeigedrängt.
Wind fasste von der Seite an Logens Gesicht. Ferros Fuß federte am Rand des Daches ab, dann war sie in der Luft. Ihm blieb der Mund offen stehen, als sie an ihm vorüberflog, mit durchgedrücktem Rücken und ausgestreckten Armen und Beinen. Sie landete auf einem Flachdach aus grauem Blei, über das Adern von grünem Moos liefen, überschlug sich einmal und kam dann wieder mühelos auf die Füße.
Logen fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und deutete auf seine Brust. Sie nickte. Das Flachdach lag etwa zehn Fuß unter ihnen, aber es waren ungefähr zwanzig Fuß leere Luft zwischen ihm und dem Dach, und es ging höllisch tief abwärts. Er trat langsam zurück, um sich einen möglichst langen Anlauf zu gönnen. Dann atmete er mehrere Male tief durch und schloss kurz die Augen.
Auf gewisse Weise wäre es perfekt, wenn er stürzte. Keine Lieder, keine Geschichten. Nur ein blutiger Klumpen auf irgendeiner Straße. Er fing an zu laufen. Seine Füße trommelten auf den Stein. Die Luft fuhr pfeifend in seinen Mund, zerrte an seinen zerrissenen Kleidern. Das Flachdach flog ihm entgegen. Er landete mit einem markerschütternden Aufprall, überschlug sich einmal, wie Ferro es auch getan hatte, dann stand er neben ihr. Er war immer noch am Leben.
»Ha!«, rief er. »Was sagst du dazu?«
Ein Knacken war zu hören, dann ein Krachen, und dann gab das Dach unter Logens Füßen nach. Erschrocken versuchte er, sich an Ferro festzuhalten, und sie rutschte hilflos hinterdrein. Für einen Übelkeit erregenden Moment rauschte er heulend durch die Luft, und seine Hände griffen ins Leere. Schließlich krachte er auf seinen Rücken.
Logen bekam Staub in die Kehle und musste husten, schüttelte sich, bewegte sich unter Schmerzen. Er war in einem Raum, der nach dem hellen Tag draußen tiefschwarz wirkte. Staub rieselte durch das ausgefranste Loch im Dach über ihnen. Unter ihm war etwas Weiches. Ein Bett. Es war halb zusammengebrochen, sackte zu einer Seite ab, die Decken waren mit Staub und Mörtelresten bedeckt. Quer über seinen
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