Kriminalgeschichte des Christentums Band 01 - Die Fruehzeit
Jahren eine perfidere Parteilichkeit als auf katholischer Seite, gerade auf der, die eben deshalb stets die entschiedensten Bekenntnisse (sich) leistet zu Wahrheit, Wissenschaft, Objektivität. 42
Doch der Status der Geschichte als Wissenschaft, als objektivierende Wissenschaft, und die Möglichkeit geschichtlicher Objektivität (eine Problematik der »Geschichtstheorie« oder »Historik«) wird inzwischen von vielen Historikern selber in Frage gestellt oder rundheraus bestritten – ich ergänze: von vielen »Fachhistorikern«. Denn wer zumindest hierzulande nicht zum eingespielten, stets auf den neuesten Forschungsstand, den neuesten Machtwechsel rekurrierenden Wissenschaftsbetrieb, zur erlauchten Zunft universitär abgesegneter Vergangenheitsdeutung gehört, ist gar nicht vorhanden; jedenfalls zunächst – später ist es manchmal umgekehrt. Ich las zu viele Historiker, um vor vielen Respekt zu haben – vor einigen habe ich desto mehr! Doch das Lesen der meisten Geschichtsbücher ist so nützlich wie einst das Lesen der Auguren im Flug der Vögel, das immerhin noch schöner war. Ein so bemerkenswerter Mann seines Fachs wie der Franzose Fernand Braudel warnt nicht zufällig vor dem »l'art pour l'art« in der Historikerbranche. Und nach William O. Aydelotte, einem englischen Experten, führt das Kriterium des Konsenses innerhalb eines gelehrten Fachpublikums »häufig«, so schreibt er, »zu einer Verschlechterung des geschichtswissenschaftlichen Handwerks«, weil der Historiker »außen-geleitet« werden könne und dann nicht sage, »was seiner Überzeugung oder Ansicht nach am wichtigsten ist, sondern das, was seiner Meinung nach seinem Publikum zusagt« 43 .
Wie sprechend schon die Tatsache, daß jede Historikergeneration dieselbe Geschichte noch einmal schreibt, daß sie immer wieder dieselben alten Geschichtsintervalle und Geschichtsfiguren von neuem bearbeitet, wie sie schon die vorhergehende Gelehrtengeneration gegenüber ihren Vorgängern von neuem bearbeitet hat – offenbar doch jeweils zur Unzufriedenheit der Späteren? Denn erörterten sie Dinge, wären diese bereits gültig gelöst? Und bedeutet Umschreiben an sich schon reichere Forschungserträge? Wissenserweiterung und -vertiefung? Erkenntnisfortschritt? Sehr vieles fand ich bei älteren Historikern besser, oft bedeutend besser, als bei jüngeren.
Natürlich haben die Historiker für diese »Reinterpretation der Geschichte« (Acham), für ihre »historiographischen Innovationen« (Rüsen), Erklärungen gefunden, die durchaus einleuchten, aber nichts daran ändern, daß die Historikergeneration nach ihnen die Geschichte wieder umschreiben wird. Von Mal zu Mal neue Kriterien, Prädominanzen, Artikulationsweisen, Methoden und »Modelle«, neue modische Auf- und Abwertungen auch, zeitadäquate Entschlüsselungen und Verschlüsselungen. Im 19. Jahrhundert beherrschte die »Ereignisgeschichte« weithin das Feld, heute wendet sich das Interesse mehr der »quantitativen Geschichte« zu. Einst waren die klassischen Paradigmata Diplomatie und Staatspolitik, heute sind es eher sozialökonomische Untersuchungen. Es gibt auch vermittelnde Positionen. Und dann und wann greift man auf ältere Techniken zurück, soweit man sie nicht überhaupt beibehalten hat, wie die narrative »histoire événementielle«, die Geschichte, in Anlehnung an eine bis in die Antike reichende Tradition, als vornehmlich literarische Disziplin betrachtet, doch, mit Ausnahme etwa von England, fast überall der »histoire structurelle«, der analytischen Reflexion, dem kritischen Diskurs, der möglichst genauen begrifflichen Fixierung den Vorrang einräumen mußte; bis es jüngst zu einer weltweiten Renaissance der alten erzählenden Geschichtsbetrachtung kam und zu einer Art Ausgleich. Die folgenden Jahrhunderte werden neue Betrachtungsarten, Plausibilitätskriterien, Methodenstreite, neue Mischformen und neue Vermittler bringen und so fort. 44
Man fragt sich nur, mit welcher Selbstsicherheit die Historiker über gewisse »historisch naive ... Aussagen« des 19. Jahrhunderts »heute lächeln« (Koselleck), wenn doch viele Historiker des 21. Jahrhunderts wieder über einen gewissen Stand der Kenntnisse und Erkenntnisse vieler Historiker des 20. Jahrhunderts lächeln werden und viele des 22. Jahrhunderts über viele des 21. Jahrhunderts – immer vorausgesetzt, daß es zu diesen Jahrhunderten noch kommt. Wird so nicht ein ewiges Lächeln von Historikern über Historiker sein? Ein
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