Kriminalgeschichte des Christentums Band 01 - Die Fruehzeit
dem das Amt des Geschichtsschreibers – peinlich genug – nur mit dem des Priesters vergleichbar schien, der auch Grund hatte, sich häufig Unparteilichkeit, äußerste Unparteilichkeit, zu attestieren, wünschte sein »Selbst gleichsam auszulöschen«, »nur die Dinge reden, die mächtigen Kräfte erscheinen zu lassen« und schrieb der »wahren« Historie die Aufgabe zu, über »parteiisches Für und Wider« hinaus, »nur zu sehen, zu durchdringen ... um dann zu berichten, was sie erblickt« 48 .
Dieser selbstsichere Objektivismusglaube, von dem Grafen Paul York Wartenburg als »Okularismus«, von Droysen (»Objektiv ist nur der Gedankenlose!«) als Ausdruck »eunuchischer Objektivität« verhöhnt, ist illusorisch. Denn es gibt keine objektive Wahrheit in der Geschichtsschreibung, keine Geschichte, wie sie sich wirklich ereignet hat; »es kann nur historische Interpretationen geben, und von diesen ist keine endgültig« (Popper). Haben wir es doch bei der Geschichtsschreibung – im Grunde aber schon bei der »Quelle«, dem (primären) Informationsträger, den Inschriften, Urkunden – immer bloß mit der
Beschreibung
von »Ereignissen«, »Tatsachen« zu tun. 49
Diese Beschreibungen stammen jedoch sämtlich von Autoren, die nur mittels rhetorischer und narrativer Hilfsmittel arbeiten konnten, die – zu allen Zeiten – ausgewählt haben, auswählen mußten, auch die Fakten in irgendeine Anordnung bringen mußten, weniger ein wissenschaftlicher als ein literarischer Akt. Die Beschreibungen stammen von Verfassern, die guten oder schlechten Glaubens fortgelassen, die unterschlagen haben, die selbstverständlich alle mehr oder weniger Interessen gelenkt, die selbstverständlich alle mehr oder weniger einseitig berichtet, die ihre durchaus korrekten Quellenbelege (wobei jede Übersetzung freilich mehr oder weniger schon Deutung ist) in bestimmter Weise geprägt, in bestimmte Kontexte gestellt, die ihre Weltanschauung, mehr oder weniger bewußt, zum Leitmotiv ihrer Interpretation gemacht haben, wobei zur Problematik dieser Texte noch die der Überlieferung kommt, das nicht seltene Phänomen der Fälschung, der Interpolation. Und moderne Historiker verfahren natürlich kein Jota anders mit den Dokumenten, wählen aus, lassen fort, beleuchten, erläutern, erklären im Sinne ihrer Weltanschauung.
Gerade Koryphäen stärken so nicht unser Vertrauen in die Objektivität ihres Fachs. Theodor Mommsen (Nobelpreis 1902) nannte ausgerechnet die Phantasie »wie aller Poesie so auch aller Historie Mutter«. Bertrand Russell schrieb den Titel
›History as an Art‹.
A.L. Rowse, ein führender englischer Historiker des 20. Jahrhunderts, sieht Geschichte der Dichtung viel näher als man meist meine; »in truth, I think, it is in essence the same«. Nach Geoffrey Elton ist sie (1970) vor allem »Erzählung«, »a story, a story of the changing fortunes of men, and political history therefore comes first because, above all the forms of historical study, it wants to, even needs to, teil a story«. Auch Hayden White hieß jüngst historische Texte nichts anderes als »schriftstellerische Kunstprodukte« (literary artefacts). Kenner wie Koselleck und Jauss betonten um dieselbe Zeit die Verwobenheit von Faktizität und Fiktion. Vielleicht aber fand H. Strasburger 1966 die treffendste, von F.G. Maier 1984 ausdrücklich bejahte Formel für Geschichte: »Ein Mischwesen aus Wissenschaft und Kunst«, »bis auf den heutigen Tag« – nachdem freilich schon Ranke 1824 die Aufgabe des Historikers »zugleich literarisch und gelehrt« genannt hatte und die Historie selbst »zugleich Kunst und Wissenschaft« 50 .
Macht man sich bewußt, daß all das nicht-objektive, »nicht-naturalistische« Vorgehen späterer Historiker auf den Darlegungen, Deutungsmustern, Typisierungen früherer Historiker beruht, die schon ganz genau so verfuhren, mehr oder weniger eben verfahren mußten, daß selbst unsere »Quellen« schon so ähnlich zustande kamen, schon vermittelt, schon durch andere Auffassungen hindurchgegangen, schon Selektion sind, eine Mischung bestenfalls aus historischer Tatsache und Text, das heißt »Literatur«, das heißt einfließender Deutung, kurz, nur »Überrest«, »Tradition«, macht man sich all dies klar, so ist evident, jede Geschichtsschreibung wird vom Hintergrund der eignen Weltanschauung her geschrieben. 51
Manche Gelehrte zwar haben gar keine solche Weltanschauung und kommen sich deshalb wenn nicht besonders fortschrittlich,
Weitere Kostenlose Bücher