Kriminalgeschichte des Christentums Band 01 - Die Fruehzeit
sieht sich der Leser durch mich nicht düpiert wie durch jene skrupellosen Schreiberlinge, die ihr Bekenntnis zum Glauben an Wunder und Weissagungen, Transubstantiation und Totenauferweckung, an Höllen- und Himmelfahrten und sonstige Mirakel mehr schamlos mit dem Bekenntnis zur Objektivität verbinden, zur Wahrheit und Wissenschaft.
Bin ich, der erklärt Voreingenommene, verglichen mit ihnen, nicht immer noch weniger voreingenommen? Bin ich, durch mein Leben, meine Entwicklung, nicht zu einer unabhängigeren Beurteilung des Christentums fähig? Immerhin gab ich, trotz der engen Bindung an eine sehr christliche Mutter, den christlichen Glauben auf, sobald ich ihn als unwahr erkannte. Immerhin sägte ich zeitlebens an dem Ast, auf dem ich hätte sitzen können. Und immer wieder auch staune ich, wie wenig ernst man auf christlicher Seite Darbietungen sowjetischer Geschichte von sowjetischen Gelehrten nimmt – und wie ernst christliche von christlichen Theologen!
Geben wir doch zu: wir alle sind »einseitig«! Wer es bestreitet, lügt von vornherein. Nicht unsere Einseitigkeit ist wichtig. Wichtig ist, daß wir sie eingestehen; nicht verlogene »Objektivität« heucheln, gar »alleinseligmachende Wahrheit«! Entscheidend ist, wie viele und wie gute Gründe unsere »Einseitigkeit« untermauern, welche Relevanz der Quellenbasis, des Methodeninstrumentars, welches Argumentationsniveau und kritisches Potential überhaupt, kurz, entscheidend ist die eklatante Überlegenheit der einen »Einseitigkeit« über die andere.
Denn jeder ist einseitig! Jeder Historiker hat seine eigenen lebensgeschichtlichen und psychischen Determinanten, seine vorgefaßten Meinungen. Jeder ist gesellschaftlich festgelegt, ist klassen- und gruppenbedingt. Jeder unterliegt Neigungen, Abneigungen, kennt seine Lieblingshypothesen, seine Wertsysteme. Jeder urteilt persönlich, spekulativ, ist schon durch seinen Fragehorizont konditioniert, und hinter jeder seiner Arbeiten stehen »stets, ausgesprochen oder, wie dies der Regelfall ist, unausgesprochen ... geschichtsphilosophische Grundüberzeugungen weitreichender Natur« (W.J. Mommsen). 40
Ganz besonders gilt dies von jenen Geschichtsschreibern, die dies meist am meisten leugnen, weil sie meist am meisten lügen – und sich dann noch gegenseitig in die christliche Parade fahren. Wie lächerlich, wenn ein Katholik einem Protestanten, ein Protestant einem Katholiken, wenn Tausende von Theologen verschiedener Konfession einander immer wieder, durch Jahrzehnte und Jahrhunderte, mit gemessenem Ernst Einseitigkeit unterstellen. Wenn etwa Jesuit Heinrich Bacht bei dem Protestanten Friedrich Loofs »zuviel vom reformatorischen Affekt gegen das Mönchtum als solches« mitschwingen sieht; »deshalb bleiben seine Urteile zu einseitig«. Ja, sollte Bacht gegenüber dem reformatorischen keinen jesuitischen Affekt kennen? Er, der Angehörige eines Ordens, dessen Mitglieder glauben
müssen,
daß weiß schwarz und schwarz weiß sei, wenn es die Kirche befiehlt?! 41
Und wie Bacht sind alle katholischen Theologen durch Taufe, Dogma, Lehramt, Druckerlaubnis sowie weitere Verpflichtungen und Zwänge zu extremer Hörigkeit genötigt und jahraus, jahrein in sicherem Sold dafür, daß sie eine bestimmte Meinung, bestimmte Lehre, eine wie auch immer massiv theologisch imprägnierte Deutung der Geschichte vertreten, was bekanntlich sehr viele abhält abzuspringen; es hätte oft terrible Konsequenzen. In Italien konnte nach dem 1929 mit Mussolini geschlossenem Konkordat kein Kleriker, der die Kirche verließ, irgendwo unterrichten, ja, auch bloß ein öffentliches Amt bekleiden. Jeder dieser Priester wurde jahrzehntelang behandelt, »als ob er jemand ermordet hätte. Das Ziel all dessen ist, die Treubrüchigen auf die Straße zu werfen und erbarmungslos in den Hungertod zu treiben« (Tondi S.J.). Bezeichnenderweise hat Kardinal Faulhaber, München, diesen Artikel 5 des italienischen Konkordats schon am 24. April 1933 Adolf Hitler empfohlen. Statt auszutreten, treibt es aber auch sonst die meisten Kirchenknechte mehr oder weniger, doch eher mehr, zumal je intelligenter, geschichtskundiger sie sind, weiter zu heucheln – im Glauben sind Priester auch nicht erfahrener, aber im Unglauben –, weniger der Selbsttäuschung zu frönen als der Täuschung anderer, konfessionellen Gegnern etwa anzukreiden, einseitig zu sein und selber so zu tun, als könne man das, ausgerechnet, als Katholik nicht: als gäbe es seit fast 2000
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